Eine architektonische Auseinandersetzung mit dem NS
Die Vorlesungen des Religionsphilosophen Klaus Heinrich an der Freien Universität Berlin hatten stets den Anspruch, all das mit einzubeziehen, was – um es mit seinen eigenen Worten zu sagen – zum „Selbstverständigungsunternehmen der menschlichen Gattung“ gezählt werden kann: Mythologie, Religion und Philosophie, aber auch die Psychoanalyse sowie die bildenden Künste, die Musik und Lyrik. Es überrascht daher nicht, dass in diesem Zusammenhang die Architektur nicht fehlen durfte, manifestiert sich doch die menschliche Gattung immer auch im Gebauten. Da der leidenschaftliche Hochschullehrer vorwiegend in freier Rede gewirkt hat und bisher nur ein Ausschnitt seiner religionsphilosophischen Vorlesungen erschienen ist, sind seine architekturtheoretischen Überlegungen vom Fachdiskurs nicht wahrgenommen worden. Fast vier Jahrzehnte nachdem er Ende der 1970er-Jahre seine Architekturvorlesungen gehalten hat, veröffentlichen wir dieses originäre Werk, das in seinem aufklärerischen Impetus unerhört aktuell geblieben ist. Faszinierend ist nicht nur das breite Wissen, auf das Heinrich seine Argumentation aufbaute, sondern vor allem seine Art Fragen zu stellen, die in dieser Form ein Architekturhistoriker oder -theoretiker nicht aufgeworfen hätte.
Auf die Frage, was das Wiederaufleben neoklassizistischer Tendenzen heute zu bedeuten hat – präsent in der sogenannten Berlinischen Architektur und in der Rekonstruktionsdebatte –, antwortet Klaus Heinrich:
„Wir müssen dabei unterscheiden, was diese Tendenzen behaupten und was die Sache konkret bedeutet. Einerseits müssen wir fragen, woran sie tatsächlich anknüpfen. Die Antwort lautet, sie knüpfen weniger an Schinkel als an die italienische rationalistische Architektur an. Zweitens, woran möchten sie erinnern und woran erinnern sie wirklich? Man könnte sagen, sie erinnern an eine bestimmte Zeit, der sie das Prädikat, den Ehrentitel des Intakten geben würden: an ein intaktes Berlin, das wieder die alten Traufhöhen hat. Das heißt, es ist eine, sagen wir es mal böse, positivistische Wiederkehr einer fantasierten Intaktheit, die es so wirklich nie gegeben hat. Was im Falle der Schlossrekonstruktion tatsächlich entsteht, ist ein Gerüst, dem man die Fassaden des alten Schlosses überhängen kann oder auch nicht, so dass der eine sagt: 'Guck mal, das Schloss', und der andere sagt: 'Guck mal, das neutrale Gerüst'.
Wenn diese Tendenzen behaupten, dass sie sich auf Schinkel berufen, so können wir mit Bestimmtheit antworten: Wenn Schinkel baute, baute er immer gegen schon Bestehendes an. Er verschob die vorhandenen Perspektiven; veränderte das Licht der Umgebung; veränderte die Disposition von Bauten, die restlos auf eine Funktion zugeschnitten waren; machte an Stellen, an denen man es nicht erwartet hätte, die Substruktionen der Gattungsgeschichte explizit wie im Falle der großen Wandfresken in dem offenen Treppenhaus des Alten Museums.“
Das faszinierende Interview, das wir statt eines Editorials mit Klaus Heinrich geführt haben, können Sie unten als Leseprobe lesen.