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Nachruf auf Hartmut Häußermann

Es werden gute Stadtsoziologen die Lücke füllen, die er hinterlässt, das wäre immerhin ein Trost. Er selbst hat dafür gesorgt, der Soziologieprofessor Hartmut Häußermann; er prägte viele Generationen von Studenten, die nicht nur der Theorie wegen das Fach Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin belegten, sondern weil die Entwicklung unserer Städte sie beunruhigte. 


Häußermann gehörte mit seinem Kollegen und Freund Walter Siebel zu den hellhörigsten und intellektuell kraftvollsten Diagnostikern des Urbanismus in Zeiten des raschen, ja dramatischen Wandels unserer Lebenswelt. So hat er schon in den frühen 80ern die Umkehrung des Nord-Süd-Gefälles der Wirtschaftskraft in Deutschland erkannt und begründet, die dem Verfall der Altindustrien in den Montangebieten des Nordens geschuldet war und den Süden der Republik aufblühen ließ; er war mit Siebel einer der ersten, der den Trend zur Umkehrung der Stadtflucht beobachtete und die Neue Urbanität analysierte, die die Stadt wieder zum ersehnten Wohnort werden ließ – „vom Müsli zum Kaviar, oder die Renaissance der Innenstädte“ registrierte er maliziös, doch nicht ganz ohne Billigung, wie mir schien – vorausgesetzt, die Städte zerfallen nicht weiter in die armen, benachteiligten, durch Arbeitslosigkeit und Ghettos gezeichneten Quartiere auf der einen und in die hochgehübschten Gründerzeitviertel auf der anderen Seite, deren teuer gewordene Mieten die ehemaligen Bewohner vertreibt. Begriffe wie gentrification, Ethnisierung der Ungleichheit, Ausgrenzung und viele andere Schlüsselwörter des Planerjargons hat er sorgsam auf die Entstehungswurzeln hin erforscht und damit den oft idealistisch-naiven Ansatz gutgläubiger Architekten in Zweifel gezogen, die ja stets das Gute wollen, doch das Gegenteil bewirken im komplexen, zu wenig durchschauten Wirkungsgefüge der modernen Stadt und, das kommt noch hinzu, bei einer globalisierenden, vagabundierenden Wirtschaft, die ihre Standorte und Arbeitsplätze nach Profitaussichten verlegt und nicht dorthin, wo Stadtplaner sie gerne hätten.

 

Häußermann war ein verlässlicher, die Praxis der Planung mitreflektierender Ratgeber, der nicht bloß kritisierte und warnte, sondern mit der Aufdeckung der Gesetzmäßigkeiten der sozialökonomischen Hintergründe, zuletzt auch der Ursachen von Schrumpfung von Bevölkerung und Gemeinden, verschärft durch die Ost-West-Wanderung, den Regionalplanern eine Abkehr von der zukünftig unbezahlbaren homogenen Ausstattung der Räume nahe legte.

Seine praktisch-planerische Ader, die auf tätigen Einfluss sich richtete und nicht nur die akademischen Diskurse bediente, trieb ihn wohl auch dazu, mit Walter Siebel jährlich ein Buch zu schreiben, in ihrer toskanischen Arbeitswerkstatt, auf sein pünktliches Erscheinen war Verlass. Diese eingreifende Leidenschaft machte ihn wohl zu einem der gefragtesten Interviewpartner in allen Medien. Er überflügelte dabei sehr rasch, mit neuen Ansätzen und erfrischender Verve, die wissenschaftlichen Verlautbarungen der traditionellen Verbände zu Stadt- und Wohnungsbau, die in ihren Zirkeln lange noch der wenig inspirierten altdeutschen Regionalplanung huldigten. Dabei war Häußermann ein so uneitler, angenehmer Mensch und Kollege, professorale Allüren und expertokratischer Hochmut waren ihm so fremd, wie auf seine freundlich-freundschaftliche Zugewandtheit und Hilfsbereitschaft stets Verlass gewesen ist.

Dass Häußermanns internationales Ansehen seiner Bekanntheit in Deutschland nicht nachstand, bezeugen seine zahlreichen Vorträge in den renommierten internationalen Planertreffen. Auch dort wird man ihn, wie hier, sehr vermissen. Er starb gestern nach langem mutigem Kampf gegen seine Krankheit.

 

Günther Uhlig
2. Nov. 2011