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David Chipperfield: Stick and Stones

Vom 2.10. – 31.12.2014 wird David Chipperfield in der Neuen Nationalgalerie eine räumliche Intervention durchführen. In dieser Installation setzt sich der britische Architekt mit der Architektur von Mies van der Rohe auseinander. Die Arbeit bildet zugleich den Auftakt zur denkmalgerechten Sanierung des Museums, die das Büro David Chipperfield Architects mit Beginn des Jahres 2015 durchführen wird.

David Chipperfield: Stick and Stones, eine Intervention
2.10. – 31.12.2014
Neue Nationalgalerie
Kulturforum
Potsdamer Straße 50
10785 Berlin

 
 
 
 
 
 
 
 

In seinem Text Endspiel (Auszug s.u.), den ARCH+ in der Ausgabe Miesverständnisse abgedruckt hat, erinnert sich Oswald Mathias Ungers an den Augenblick, als die Stahldecke der Neuen Nationalgalerie im Beisein Mies van der Rohes lautlos von Hydraulikpressen in Position gebracht wurde. Die Präzision der Ausstellungshalle fand im Augenblick ihrer Vollendung einen entsprechenden Ausdruck in der Präzision der Bautechnik. 

Mit der Installation "Stick and Stones", die aus 144 grob entrindeten Fichtenstämmen besteht, konstruiert David Chipperfield ein anderes Narrativ für das Gebäude. Die Baumstämme erinnern in ihrer Erscheinung an provisorische Stützkonstruktionen, die man auf Baustellen häufig findet. Damit bietet Chipperfield eine alternative Lesart für ein Gebäude an, mit dessen Vollendung Ungers damals die Moderne an ihr Ende kommen sah: Das sprechende Bild von der "Baustelle Moderne" stellt einen Anknüpfungspunkt bereit, um diese Ikone der Architektur aus ihrer Erstarrung herauszuholen und an das offene Projekt der unvollendeten Moderne zu erinnern. 


Endspiel
Oswald Mathias Ungers

"Ich erinnere mich noch sehr genau. Es muß an einem Spätsommertag im Jahre 1967 gewesen sein. Es war das gleiche Jahr, in dem ich den, wie manche meinen, schon legendär zu nennenden Internationalen Kongreß über Architekturtheorie an der TU Berlin veranstaltete. Zur Verwunderung der Teilnehmer, unter ihnen Colin Rowe, Kenneth Frampton, Reyner Banham, Sigfried Giedion und Max Adolf Vogt — um nur einige zu nennen —, endete der Kongreß mit einem spektakulären Protest der Studenten. Zum Schluß des turbulenten Kongresses nämlich entrollten sie ein Banner. Darauf stand in großen gewaltigen Lettern: “Alle Häuser sind schön, hört auf zu bauen!” Das war das vorläufige Ende meiner Architekturlehre in Berlin und der Beginn der Studentenrevolte. Es beendete auf jeden Fall mein theoretisches Engagement an der TU.
Etwa zur gleichen Zeit gab es eine Versammlung von illustren Architekten, Baubeamten und Politikern auf dem von Mies van der Rohe neugebauten Plateau der Nationalgalerie. Die gewaltige Stahlkonstruktion der Dachplatte lag fertig montiert auf dem Plateau und wurde langsam, im Zeitlupentempo von unzähligen Hydraulikpressen auf die vorgesehene Höhe gestemmt. Als der Raum zwischen der Dachplatte und dem Plateau hoch genug war, rollte Mies van der Rohe im Rollstuhl sitzend mit Zigarre unter die hochgepreßte Stahlplatte, drehte eine Runde und kam wieder zur Versammlung zurück. Das war, wie ich meine, ein Augenblick von historischer Dimension.
Neben der Philharmonie stand nun der architektonische Widerpart. These und Antithese, die Verheißungen der Moderne im direkten Dialog. War das gleichzeitig die Erfüllung des Versprechens vom Anfang der Moderne? Solche Gedanken gingen mir damals durch den Kopf. Hat hier das Konzept der Avantgarde seinen Höhepunkt erreicht und zeigte sich in dem gleichzeitigen Protestschrei der Studenten auch schon wieder ihr Ende? 'Hört auf zu bauen!'” (Auszug aus: ARCH+ 161 Miesverständnisse, Juni 2002, S. 88 ff.)


Aus dem Pressetext:

"Mit 144 imposanten Baumstämmen verwandelt der britische Architekt David Chipperfield (geb. 1953) die offene Glashalle für drei Monate in eine dicht gestellte Säulenhalle. Für den Titel seiner Intervention leiht sich David Chipperfield den eingängigen Anfang eines englischen Kinderreims: „Sticks and Stones [may break my bones, but words will never hurt me]“. Er verweist damit auf zwei Grundelemente der Neuen Nationalgalerie, aber auch der Architektur allgemein: die Stütze oder Säule und den Stein. So leichtfüßig der Titel daher kommt, so hintergründig ist diese letzte Sonderausstellung vor der Schließung des Hauses für mehrere Jahre.
Mit Sticks and Stones lenkt Chipperfield den Blick auf die spektakuläre Konstruktion des Museumsbaus, der 1965–1968 nach Plänen von Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) errichtet wurde. Lediglich acht schlanke Stahlstützen tragen das monumentale Dach, das wie freischwebend wirkt, weil die Stützen weit von den Dachecken eingerückt sind. Die beiden mit Marmor verkleideten pfeilerartigen Installationsschächte im Inneren der Glashalle haben keine tragende Funktion.
Wie eine provisorische Stützkonstruktion nehmen die 144 entrindeten, gut acht Meter langen Fichtenstämme symbolisch das Gewicht des Daches auf. Sie fügen sich in das klare Raster ein, das Stahldecke, Granitfußboden und Gesamtproportionen der Neuen Nationalgalerie prägt. So lässt Chipperfields Installation innerhalb der modernen Stringenz des Mies-Baus ein neues Raumerlebnis entstehen. Sticks and Stones ist somit eine Verneigung vor dem großen Vorgänger Mies van der Rohe und zugleich eine Metapher für die kommende Baustelle … Inmitten des Stützenwaldes befindet sich eine „Lichtung“, ein 200 Quadratmeter großer Platz, wo verschiedene, interdisziplinäre Veranstaltungen stattfinden." 

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Ausstellung www.davidchipperfieldinberlin.de