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In Memoriam Peter Neitzke

21. August 1938 – 15. März 2015

In den letzten Jahren haben wir ausschließlich miteinander gesprochen, vornehmlich am Telefon. Früher haben wir viel zusammengemacht: zum Beispiel das Positionspapier zum Seminar „Architektur und Gesellschaft“ der Kritischen Universität geschrieben. Beteiligt war noch federführend Heidemarie Wolter.

Seit zwanzig Jahren lebte er in Zürich, ich weiterhin in Berlin. Und so blieb es bei telefonischen Kontakten und gelegentlichen Treffen. Was mir von diesen Gesprächen in Erinnerung bleiben wird, ist, dass es kaum ein Thema gab, dass wir nicht gestreift haben. Er war über alles informiert. Ein großer Anreger. So hat er mich auf Patrick Modiano hingewiesen, insbesondere auf seinen Roman „Dora Bruder“, bevor Modiano durch die Vergabe des Nobelpreises weltberühmt wurde. Aber auch Israel war ein Thema – und natürlich alles, was an fachlichen Fragen anstand. Peter hat die „Bauwelt Fundamente“ herausgegeben, lange mit Ulrich Conrads zusammen, später, nachdem Conrads gestorben war, gab er sie alleine heraus.

Diese Breite des Wissens und der Interessen, von der Politik bis zur Literatur, von der Architektur bis zur Politischen Ökonomie fehlt mir schon heute. Plötzlich habe ich seine Stimme wieder im Ohr, seinen Tonfall. Hör mal …

Aber diese Breite an Wissen war bitter erkauft. Denn vergessen wird gerne, dass sich in ihm die Brüche unserer Generation spiegeln, den Achtundsechzigern.

Qua Ausbildung war er Architekt. Er hatte noch bei Oswald Mathias Ungers studiert. Seine Studienarbeiten gehören heute zu den Objekten, für die sich Museen interessieren. Danach ist er zu Peter Poelzig gegangen, später zu Kiemle Kreidt und Partner.

Wie lange er dort gearbeitet hat, weiß ich nicht mehr. In meiner Erinnerung überlagert sich diese Phase seines Lebens schon mit derjenigen seiner politischen Aktivität. Seit 1966 im SDS, später bei der KPD/AO. Und so wird er auch heute vornehmlich als politisches Subjekt wahrgenommen. Als politisches Subjekt lebt er fort in Büchern und Bildern, wie in Gunnar Hincks „Wir waren wie Maschinen“ und in Helmut Lethens „Suche nach dem Handorakel. Ein Bericht“ sowie in den Bildern von Dieter Masuhr. Aber dazu später .

Lethen geht im Zusammenhang der Kontroverse um Heinz Dieter Kittsteiners Beitrag „Marxismus uns Subjektivität“ in den Berliner Heften auf Peter ein, der darauf eine Replik geschrieben hat. Eigentlicher Streitpunkt war, dass Kittsteiner prophezeit hatte, dass die „Zeit der heroischen Moderne […] endgültig vorbei (sei).“ Angesprochen waren damit Rolle und Bedeutung der politischen Avantgarden (und noch nicht die der ästhetischen). Dazu muss man wissen, dass die Zeitschrift in den 1970er-Jahren ein Sammelbecken für die nach dem Zerfall der ML-Parteien heimatlos gewordenen ehemaligen Kader war. Lethen schreibt zur Erwiderung von Peter auf Kittsteiner: „Da 1979 sein Kontrahent (Neitzke, NK) aber letzten Endes selbst ratlos ist, senkt sich der Schleier der Melancholie über den Rest der Replik, sodass Neitzke (stand er in seiner anderen Rolle als Architektur-Experte nicht immer schon im Verdacht, ein verlorener Sohn der Großbourgeoisie zu sein?) mit den selbstquälerischen Worten schließt: ‚Und Du weißt nicht sicher, ob es nicht einfacher und angesichts der erwarteten Isolation angemessener ist, rechtzeitig die Abreise zu bedenken. Du liebst ‚Denkspiele‘ und ahnst, dass die Aufforderung, sich auf sie einzulassen, erfolglos bleiben muss. Vielleicht hoffst Du gar, um den Augenblick wirklicher historischer Gefahr herumzukommen, selbst wenn dieser erst praktisch verdeutlichen würde, ob man auf ‚die Linke‘ zählen könnte (oder nicht).“ Lethen schließt diesen Passus mit der Bemerkung: „Nun die Abreise hatte ich 1979 schon hinter mir.“ Aber Peter nicht.

Dieses Thema hat Peter sein Leben lang verfolgt bis zu den zwei Romanen, die er noch veröffentlichen konnte: „Schwarze Wände“ und „Morelli verschwindet“. Sie thematisieren – literarisch verschlüsselt – die erwähnte Abreise. „Morelli verschwindet“ ist gerade zur Leipziger Buchmesse erschienen.

Anzumerken bleibt mir noch, dass die Bemerkung, Peter sei ein verlorener Sohn der Großbourgeoisie, seine körperliche Präsenz beschreibt und nicht die Herkunft. Peter kam aus ganz anderen als aus großbürgerlichen Verhältnissen. Dieter Masuhr hat ein wunderschönes Bild zu den Berliner Heften gemalt. Ein liegendes Oval, das zeigt, wie sich die Redaktion um einen Tisch versammelt. Und im Brennpunkt rechts des Ovals: Peter Neitzke. 

Farewell, Peter. 

Nikolaus Kuhnert

 

Peter Neitzke: Morelli verschwindet
Hablizel-Verlag, Lohmar, 2015
ISBN 978-3-941978-19-5

Peter Neitzke: Schwarze Wände
Roman, Textem-Verlag, 2008
ISBN 978-3-938801-42-0

Zu seinem letzten Roman siehe auch: 
https://faselloch.wordpress.com/2015/03/24/neitzke-verschwindet-und-bleibt/