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Collage/Montage: Mies van der Rohe und die Bildlichkeit der Architektur

Symposium: 02. – 03. Dezember 2016
im Rahmen von Mies van der Rohe: Die Collagen aus dem MoMA

Ludwig Forum für Internationale Kunst
Jülicher Str. 97-109, 52070 Aachen
Organisatoren: Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen
Dr. Andreas Beitin (Direktor) und Lutz Robbers, Ph.D. (Jade Hochschule Oldenburg)
Anmeldung: Andreas.Beitin[at]mail.aachen.de
Teilnahmegebühr: Eintritt zur Ausstellung, Erwachsene 5, ermäßigt 3 €

PROGRAMM

Die Tagung erstreckt sich über zwei Tage in drei Sektionen. Pro Vortrag sind 30 Minuten eingeplant. Jede Sektion wird mit einer Gruppendiskussion abgeschlossen.

Freitag 2. Dezember 2016

11.00 Begrüßung und Einführung

11.30 – 13.00 Sektion 1: Mies‘ Collagen/Montagen im Kontext ihrer Bildkulturen und Bildtechniken
Vortragende: Edward Dimendberg, Sabine Kriebel

13.30 – 14.00 Resümee / Diskussion

14.00 – 15:00 Mittagspause

15:00 – 16:30 Sektion 2: Montage und architektonische Bildlichkeit
Vortragende: Martino Stierli, Andres Lepik, Philip Ursprung

16.30 – 17.00 Resümee / Diskussion

17.30 – 18.30 Gemeinsame Führung durch die Ausstellung

18.30 – 19.30 Abendvortrag

Vortragende noch bekannt zu geben

Ab 19.30 Gemeinsames Abendessen

Samstag 3. Dezember 2016

11.00 – 12.30 Sektion 3.1: Mies Montage (Case Studies)
Vortragende: Jan Frohburg, Birgit Hammers, Claire Zimmerman

12.30 – 13.30 Mittagessen

13.30 – 15.00 Sektion 3.2: Mies Montage (Case Studies)
Vortragende: Andreas Marx, Dietrich Neumann, Lutz Robbers
 

TEILNEHMER

Insgesamt zwölf Redner sind geplant, elf haben bereits zugesagt:

1. Dietrich Neumann (Professor of History of Art and Architecture, Brown University, Providence, USA)
- Thema: Neuere Forschungen zu Mies‘ Collagen in seiner späteren amerikanischen Periode

2. Edward Dimendberg (Professor of Visual Studies, University of California, Irvine, USA)
- Thema: Mies im Kontext der visuellen Kultur der Weimarer Republik

3. Claire Zimmerman (Professor of the History of Art, University of Michigan Ann Arbor, USA)
- Thema: Albert Kahn and the Concert Hall Project (1942)

4. Dr. phil. Birgit Hammers (Institut für Kunstgeschichte der RWTH Aachen )
- Thema: Montage in Mies´ städtebaulichen Entwürfen

5. Andreas Marx (Berlin)

6. Martino Stierli (Philip Johnson Chief Curator of Architecture and Design, The Museum of Modern Art, New York)
- Thema: Architecture and the Medium of Montage

7. Philip Ursprung (Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich)

8. Andres Lepik (Professor für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis; Direktor des Architekturmuseums der TU München)

9. Sabine Kriebel (Institut für Kunstgeschichte an der UC Cork)
- Thema: Dada Montage

10. Jan Frohburg (University of Limerick)
- Thema: 1942 Concert Hall

11. Lutz Robbers, Ph.D. (Jade Hochschule Oldenburg)

 

 

BINNENSTRUKTUR DER VERANSTALTUNG

Die Tagung ist in zwei grundlegende Themenblöcke unterteilt. Der erste Block konzentriert sich auf Mies van der Rohe und dessen Bildproduktion. Dieser ist wiederum unterteilt in eine erste Sektion, in der neuere historische Forschungsergebnisse bezogen auf die Collagen und Montagen von Mies vorgestellt werden, und eine zweite Sektion, die die unterschiedlichen Kontexte der Mies'schen Bildproduktion beleuchtet.
Der zweite Themenblock nimmt Mies als Ausgangspunkt für eine allgemeinere theoretische Befragung der Montage in bildlichen Architekturdiskursen und -praktiken. Im ersten Teil wird nach Montage als Sinnbild architektonischer Bildlichkeit gefragt; im zweiten Teil nach den Manifestationen von Collage/Montage in der zeitgenössischen Architektur.

Konkret sieht die Struktur der Tagung folgendermaßen aus:
1. Mies‘ Collagen/Montagen im Kontext ihrer Bildkulturen und Bildtechniken

Hier soll es darum gehen, die Arbeiten von Mies innerhalb unterschiedlicher Kontexte zu lokalisieren: kulturell, technisch, politisch, gesellschaftlich, medial. Besonderes Augenmerk richtet sich auf die jeweiligen architektonischen Arbeitsprozesse und Werkstattpraktiken architektonischer Bildproduktion.
Vortragende: Edward Dimendberg, Sabine Kriebel

2. Montage und architektonische Bildlichkeit

Unterscheiden sich architektonische Collagen/Montagen grundlegend von diesen Bildtechniken in Bereichen der bildenden Künste, der Literatur und Musik? Können architektonische Bilder einen Anspruch auf ontologische Bestimmtheit beanspruchen, wie der Kunsthistoriker Carl Linfert in den 1930er Jahren bemerkte? Inwieweit informieren neuere Bildkonzepte das Verständnis der Rolle der Bilder in architektonischen Prozessen des Gestaltens und Wissens?
Vortragende: Martino Stierli, Andres Lepik, Philip Ursprung

3. Mies Montage (Case Studies)
Vortragende: Jan Frohburg, Birgit Hammers, Claire Zimmerman, Andreas Marx, Dietrich Neumann, Lutz Robbers

 

KONTEXT

Die Tagung findet im Rahmen der am 27. Oktober 2016 am Ludwig Forum in Aachen öffnenden Ausstellung Mies van der Rohe. Die Collagen aus dem MoMA statt. Anlass ist Mies van der Rohes 130. Geburtstag, den die Stadt Aachen im Andenken an einen ihrer bedeutendsten Söhne gebührend feiern möchte. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen rund 40 großformatige Collagen und Zeichnungen von Mies van der Rohe der Jahre 1910 bis 1965, die das MoMA in New York erstmalig verleiht. Diesem bedeutenden Teil seines Werkes wurde bisher keine eigene Ausstellung gewidmet – eine Lücke, die das Ludwig Forum Aachen und das ZKM in Karlsruhe in Kooperation mit dem MoMA in New York nun füllen möchten.

Die Tagung Collage/Montage: Mies van der Rohe und die Bildlichkeit der Architektur ist als Ergänzung und Erweiterung der Ausstellung konzipiert. Der Ort der geplanten Tagung ist bewusst gewählt. Das Ludwig Forum als eine der Öffentlichkeit zugewandte Kulturinstitution und der räumliche Bezug zu den gezeigten Exponaten sollen mithelfen, den oftmals exklusiven Rahmen akademischer Tagungen zu öffnen. Mies' Collagen und Montagen geben nicht nur den Anlass, kunstgeschichtliche, bildwissenschaftliche und architekturtheoretische Forscher zum Austausch zu animieren. Ebenso wichtig erscheint die hier gegebene Möglichkeit, wissenschaftliche Diskurse vor einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Ludwig Forum wird damit zu einem Ort der Erfahrung und des Austauschs, der Übergänge zwischen akademischer Forschung, architektonischer-künstlerischer Praxis und dem breiteren Publikum aktiv fördert.

 

 

PROJEKTBESCHREIBUNG

Collagen/Montagen als Embleme architektonischer Bildlichkeit

Collage und Montage gelten als exemplarische Bildtechniken moderner Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts. In den bildenden Künsten, in Literatur und Musik entstanden durch das Kombinieren von zusammenhanglosen, sich überschneidenden Fragmenten neue Darstellungsformen, die einerseits mit tradierten Repräsentationsregimen brachen und andererseits neue, kontingente Narrative, Konstellationen und Bedeutungen entstehen ließen. Das im frühen 20. Jahrhundert noch neue Medium Film verkörperte im besonderen Maße die Idee der Montage: Für seine apparative Struktur ist das Zerstückeln und Wiederzusammensetzen der aufgenommenen und wieder projizierten Wirklichkeit konstitutiv. Den Kubisten, Suprematisten, Futuristen, Dadaisten, Konstruktivisten etc. bot die neue Technik die Möglichkeit, auf der Ebene des Mediums mit bestehenden bildlichen und sprachlichen Ordnungen zu brechen und damit den politischen Anspruch einer in die technisierte Lebenswelt der modernen Massengesellschaft eindringenden Kunst gerecht zu werden.

Nachdem die kunstwissenschaftliche Forschung sich in den späten 1960er und 1970er Jahren intensiv mit den unterschiedlichen Avantgardeströmungen befasste, zeigt die neuere Forschung ein wiedererwecktes Interesse am Phänomen der Collage/Montage. Gerade im Rahmen des bildwissenschaftlichen Interesses an Aspekten der Wirk- und Handlungsmacht rücken Bilder in den Vordergrund, die nicht mehr isoliert für sich stehen, sondern die erst durch die Verbindung, Vermischung oder Kollision mit anderen Bildern neue Konstellationen formen, deren Sinn sich aus einer räumlichen wie zeitlichen Disjunktion ergibt. Damit wird das Bild – ehemals begrenzter, monokularer Träger von Informationen und Wissen – zum Akteur in dynamischen Prozessen.

Montagen und Collagen, in ihren vielfältigen Ausprägungen, die über die rein künstlerische Praxis hinausgehen und technische, wissenschaftliche und massenkulturelle Bildphänomene mit einschließen, veranschaulichen Fragen, die gerade im digitalen Zeitalter dringlich sind. Diese Fragen richten sich an die Intermedialität der Bilder, an die Zeitlichkeit von Gestaltungs- und Wahrnehmungspraktiken, an die Möglichkeit von kontingentem Wissen und Handeln (Lyotard 1986). Bildwissenschaftliche und kulturtechnische Problematisierungsansätze ermöglichen eine Revision etablierter Sichtweisen und Wissensbestände. Mies, sein bildnerisches Werk und dessen Beziehung zum gebauten Oeuvre sollen auf der Tagung exemplarisch verhandelt werden, um neue Forschungsansätze mit Bezug auf die Frage nach der architektonischen Bildlichkeit zu testen.

Unterschiedliche bildwissenschaftliche Forschungscluster befragen seit einigen Jahren Funktion und Rolle der Bilder (Eikones, Bilderfahrzeuge, Βild Wissen Gestaltung). Einzelne Tagungen wie beispielsweise Bildgrenzen/Interpositions (Beyer/Mengoni 2014) haben bildwissenschaftliche Perspektiven auf die Frage nach Collage/Montage in unterschiedlichen künstlerischen und wissenschaftlichen Bildpraktiken eröffnet. Hier soll die geplante Tagung ansetzen und die aufgeworfenen Fragestellungen auf Mies und die architektonische Bildlichkeit verengen.

Im kunstgeschichtlichen Narrativ zu Collage und Montage spielt die Architektur nur eine periphere Rolle (Wescher 1968; Möbius 2000). Dabei genügt ein kurzer Blick auf einige der Protagonisten der Avantgarde-Bewegungen der 1910er und 20er Jahre, um die direkten Implikationen der Architektur als zentrales Feld für die Entwicklung und Legitimation des neuen Paradigmas zu erkennen. Die Arbeiten von Kasimir Malewitsch, Fernand Léger, El Lissitzky, Theo van Doesburg oder László Moholy-Nagy machen beispielsweise deutliche Anleihen bei der Architektur. Für die Entwicklung seiner filmischen Montagetheorie bezog sich Sergei Eisenstein direkt auf die fragmentierten Bildräume der unterirdischen carceri Architekturphantasien von Piranesi. Tatsächlich waren es Architekten wie Adolf Loos, Le Corbusier, J.J.P. Oud und Friedrich Kiesler, die unterschiedliche Collagetechniken als Gestaltungsmedien etablierten. Seit den 1920er Jahren fungieren Collagen und Montagen als wiederkehrende Entwurfs- und Repräsentationstechniken in der Architektur, die besonders im Zuge der von Pop-Art und gesellschaftskritischen Arbeiten der 60er Jahre (Archigram, Superstudio), des postmodernen Hangs zum Pastiche (man denke hier an Rowe&Slutzkys Collage City), der konzeptuellen und dekonstruktivistischen Tendenzen der 70er bzw. 80er Jahre (z.B. Aldo Rossi, Gordon Matta-Clark, Bernard Tschumi, Rem Koolhaas, Peter Eisenman, Daniel Libeskind) der Architektur Ausdruck verliehen. Und selbst im digitalen Zeitalter bleibt die Montage/Collage ein Bildwerkzeug der Architektur (z.B. time[scape]lab, FELD studio, Point Supreme).
Die neuere Forschung zeigt auf den ersten Blick ein gesteigertes Interesse an der Rolle der Collage/Montage in der architektonischen Diskurs- und Entwurfspraxis. Jennifer Shields präsentiert einen Überblick zum Thema Collage and Architecture, indem sie entlang einer methodischen Differenzierung (Papier Collé, Collage-Drawing, Photomontage, Digital Methods) die Werke einzelner Architekten und Künstler exemplarisch bespricht und in einem zweiten Teil ihres Buches einzelne Arbeiten von Le Corbusier, Luis Barragán oder Sigurd Lewerentz als Collage interpretiert (Shields 2014). Doch bleibt Shields‘ Auswahl arbiträr und ohne theoretische Fundierung, die die Bedeutung dieser spezifischen Bildproduktion für die Architektur einordnen würde.

Mies und Collage/Montage

Mies' Collagen und Montagen werden in der existierenden Literatur zu Collage/Montage immer wieder zitiert, doch mangelt es bisher an ausführlichen Darstellungen der Spezifik seiner Bildproduktion. Gleichwohl sind Mies' Collagen und Montagen als zentrale Medien für sein architektonisches Schaffen zu betrachten. In ihren vielfältigen Formen sind sie zentrale Kristallisationspunkte von architektonischen Entwurfs- und Denkprozessen, deren historische und theoretische Aspekte bislang nur unzureichend erforscht wurden. Weder Kunstgeschichte, Architekturtheorie noch die neueren Ansätze aus der Medientheorie und den Bildwissenschaften haben sich mit dieser speziellen Form architektonischer Bildlichkeit hinreichend beschäftigt, geschweige denn sich dezidiert mit dem Fall Mies befasst. Seine bildlichen Arbeiten sind einerseits einzigartige Embleme eines idiosynkratrischen Verständnisses jener architektonischen Bildlichkeit, andererseits spiegeln sie die technisch-medialen Bedingungen seiner Zeit wider und machen für die Architektur jene neuen künstlerisch-philosophischen Möglichkeiten verfügbar, mit denen unterschiedliche Avantgardeströmungen in Kunst und Literatur experimentierten. Gleichzeitig affirmieren die Mies'schen Collagen und Montagen die Spezifik einer architektonischen Bildlichkeit, die sich nicht länger auf ihre Rolle als Handlungsgehilfe in Prozessen des Gestaltens und Bauens reduzieren lässt.

Während seiner gesamten Schaffenszeit arbeitet Mies im Medium der Montage bzw. Collage. Bereits für seinen ersten Wettbewerbsbeitrag für das Bismarckdenkmal in Bingen fertigt Mies 1910 neben zwei großformatigen Präsentationszeichnungen eine Fotomontage an. In eine perspektivische Ansicht fügt Mies die Zeichnung bzw. das Modellfoto seines Projektes ein und erzeugt damit eine überzeugende Simulation des noch zu realisierenden Vorhabens. Der durch das Medium Fotografie erzeugte effet-de-reel, der dem Betrachter der Montage einen klar definierten Standpunkt im Bildraum zuweist, wird in diesem Falle genutzt, um die Wettbewerbsjury zu beeindrucken. Dabei ist zu betonen, dass zu diesem Zeitpunkt die Fotomontage bereits eine gebräuchliche Darstellungstechnik für Architekturwettbewerbe war, Mies also nicht als dessen 'Erfinder' gelten kann. Vielmehr erschließt sich die Bedeutung seiner Collagen und Montagen aus der Konsistenz, mit der Mies diese Bildform während seiner gesamten Karriere verwendet und der formalen Vielfalt, mit der Mies (oder seine Mitarbeiter wie Priestley in Chicago) die neue Bildtechnik appliziert. Das Collagieren und Montieren erscheint bei Mies in unterschiedlichen Ausprägungen: einerseits als realistisches Medium der Wirklichkeitssimulation wie im Falle des Bismarckdenkmals oder des Projektes für ein Büro- und Bankgebäude in Stuttgart (1928), andererseits als Darstellungstechnik, die dem Wirklichkeitseindruck entgegenwirkt oder ihn geradezu unterläuft. Seine Fotomontagen für das Resor House Projekt (1937-41) oder das Concert Hall Projekt (1942) sind Beispiele für eine bis zur Auflösung des Bildraumes reichende radikale Abstrahierung, die sich schon in Montagen der 1920er Jahre ankündigte (man denke hier an die durch fototechnische Nachbearbeitungen der Straßenszene erzeugte Unschärfe in den Perspektiven seines Entwurfs für das Hochhaus Friedrichstraße von 1921).

Konsistenz und Wandel seiner Bildpraktiken, ihre enge Verwobenheit mit den künstlerischen und technischen Bedingungen ihrer Zeit machen seine Bilder zu Zeugnissen einer sich fundamental verändernden Funktion des Bildes in der Architektur. Spätestens seit Alberti beschränkte sich die Legitimität architektonischer Zeichnungen auf die orthographischen Bildsätze (Grundriss, Ansicht, Schnitt), d.h. das Bild wurde zum reinen Handlungsgehilfen jener operativen Ideologie der Architektur, die den Plan, die Absicht, das Projekt in den Mittelpunkt einer Metaphysik des Handelns gestellt hat. Die technisch-soziale Beherrschung des Raumes, einhergehend mit der Konstitution des neuzeitlichen Subjekts, basierte auf einer Angleichung von Bild, Plan und letztendlich Raum. Mit dieser Funktion des architektonischen Bildes als reiner Handlungsgehilfe des heroisch-weltschaffenden Architekten, so eine der Thesen der Tagung, bricht Mies.

Neben Mies gab es andere moderne Architekten wie z.B. Adolf Loos, Friedrich von Thiersch, Bruno Taut, Le Corbusier, die mit den Bildkonventionen der Architektur brachen. Sie forderten emphatisch die Befreiung der Architektur aus den Zwängen des traditionellen Bildregimes – eine Begründung moderner Räumlichkeit durch die Kritik am Bild, die von Kritikern und Historikern wie Sigfried Giedion und Adolf Behne formuliert wurde. Die modernen Architekten vollzogen damit jene in den unterschiedlichen Avantgardeströmungen propagierte Kritik am tradierten Kunst- und Bildbegriff: So wie Kubismus, Konstruktivismus, De Stijl, Dada und andere Bewegungen ein neues visuelles Paradigma beschworen, das auf Bruch und Rekonstruktion eines ehemals kohärenten Bildraumes beruhte und sich aktiv neuer medialer Techniken wie der illustrierten Zeitschrift, der Fotografie oder des Films bediente, genauso versuchten nun Architekten, publikumswirksam ihre Ideologien zu propagieren oder gar filmtechnische Apparaturen in ihre konkreten Bauten zu inkorporieren.

Auch Mies bricht mit den architektonischen Bildkonventionen und orientiert sich dabei – zumindest in den frühen 1920er Jahren – an den Praktiken der Dadaisten, Konstruktivisten und Neoplastizisten, denen er persönlich nahestand. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Zeitschrift G – Material zur elementaren Gestaltung, die er gemeinsam mit Hans Richter, Raoul Hausmann, El Lissitzky, Theo van Doesburg und anderen produzierte. Doch artikuliert sich dieser Bruch bei Mies vielgestaltig, heterogen und oftmals widersprüchlich. Mies und die von ihm beauftragten Mitarbeiter montieren Fotos, machen Einzeichnungen in Fotos, collagieren abstrakte Formen in figurative und perspektivische Ansichten, abstrahieren detaillierte Aufnahmen durch Mehrfachbelichtung und Retouchen, figurieren wiederum abstrakte Raumelemente. Immer wieder scheint er Bildkonventionen emphatisch zu zitieren, um diese bei genauerer Hinsicht doch wieder zu brechen und damit ein immerwährendes Spiel der Differenzen zu initiieren.

Die Entwicklung neuer technischer Medien wie Fotografie und Film, welche einherging mit der Entstehung einer populären Massenkultur und der Transformation kollektiver Wahrnehmungspraktiken, spielten sicherlich eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Mies'schen Bildlichkeit. Doch anders als Taut oder Le Corbusier scheint er diese nicht für die Durchsetzung einer eigenen Ideologie, sondern für die architektonisch-bildliche Umsetzung eines Verständnisses der Moderne zu nutzen, die sich zuallererst formalistischen und positivistischen Denkweisen widersetzt. Anhand der Montagen von Mies lässt sich argumentieren, dass Bilder nicht nur architektonisches Wissen, Gestalten und Denken abbilden. Vielmehr gilt es zu zeigen, dass die Arbeiten von Mies als bildkritisches Denken über jenes architektonische Wissen, Gestalten und Denken aufzufassen sind. In anderen Worten, Mies' Collagen und Montagen sind beispielhaft für die Erweiterung jener epistemischen Rahmen, die das, was denk- und gestaltbar ist, erst umreißen. Damit erweitert sich das Feld jener Themen, die die geplante Tagung zur Diskussion stellen möchte.

Wissenschaftliche Zielsetzung

Die Tagung verfolgt zwei grundsätzliche wissenschaftliche Ziele:

1. Neue Erkenntnisse und Erweiterung der Mies-Forschung

Die Tagung soll als Forum fungieren, um neue Forschungsergebnisse zu Mies' Bildproduktion zu präsentieren. Archivfunde und Erkenntnisse bezüglich seiner Bild- und Repräsentationspraktiken stehen dabei im Vordergrund. Gerade die künstlerischen, gesellschaftlichen und technischen Bedingungen seiner Bildarbeiten und Entwurfstechniken erfordern genaueres Augenmerk.

Seit der großen Doppelausstellung Mies in Berlin und Mies in Amerika 2001 (Bergdoll/Riley 2002; Lambert 2001) hat das wissenschaftliche Interesse an Mies nachgelassen. Neuere Publikationen geben jedoch Anlass für die Revision und Erweiterung des Forschungsfeldes (Robbers 2012; Plüm/Meinke 2013; Mertins 2014). Die geplante Tagung soll zur Intensivierung der Auseinandersetzung mit Mies beitragen.

2. Innovative Forschungsansätze

Zudem soll es auf der Tagung darum gehen, mithilfe innovativer Problematisierungsansätze z.B. aus den Bildwissenschaften, der Wissenschafts- und Kulturtechnikforschung alternative Perspektiven auf das Mies'sche Oeuvre zu entwickeln.

Die Befragung der Collagen/Montagen erlaubt die von Manfred Tafuri angestoßene Diskussion zur Historiographie moderner Architektur zu erweitern. Implizieren Mies' Bildpraktiken nicht auch ein alternatives Geschichtsverständnis (Tafuri 1987)? Tafuri hat mit Verweis auf die Avantgarde-Bewegungen die Möglichkeit einer Geschichte ins Spiel gebracht, die nicht mehr auf Ursprüngen und linearen Narrativen beruht, sondern auf Brüche und Kontingenz abzielt. Sind die Mies'schen Montagen sinnbildlich für eine geschichtliche Genealogie, die sich als produktive Kollision und Rekonstruktion versteht? Fungieren seine in direkter Beziehung zur technischen und visuellen Kultur seiner Zeit stehenden Montagen zugleich als Ausdruck und Vorbild einer nicht auflösbaren Dialektik, die das Spiel der Fragmentierung, Auflösung und Neuformierung von immer neuem beginnen lässt?

Außerdem stellen die Collagen/Montagen von Mies die Frage, ob sich die architektonische Bildlichkeit grundsätzlich von anderen Bildern unterscheidet. Lassen sich die künstlerischen, literarischen oder kinematografischen Versuche mit Montage und Collage ohne weiteres in die Architektur übernehmen oder ist die architektonische Bildlichkeit eine spezifische? Zentral sind hier die von Walter Benjamin mit dem Passagenwerk unternommenen Versuche, mit Montage zu arbeiten und zu denken und damit neue Möglichkeiten philosophischer und geschichtlicher Erkenntnis wie auch künstlerischer Praxis zu eröffnen. Die bei Benjamin zentrale Rolle der Architektur und gerade auch der Architekturbilder (wie seine emphatische Rezeption von Giedion und Linfert beweist) gilt es genauer zu untersuchen.

Lassen sich die Mies'schen Bilder mit dem Konzept der operativen Bildlichkeit besser fassen, die die Handlungsmacht der Bild- von ihrer Abbildfunktion löst (Krämer 2009)? Und veranschaulichen die Montagen nicht die der Architektur eigenen Praktiken der dislocation, dem Aufbrechen von kohärenten Zeit- und Raumstrukturen und Wahrnehmungen (Goetz 2001)? Mies' Bilder geben Anlass, über die Durchlässigkeit der Trennung zwischen Bildraum, Leibraum und physischem Raum nachzudenken. Letztendlich fungieren diese als Medien, die sich durchdringen und die sich unter dem Begriff der Architektur summieren lassen.

Bibliographie

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