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Auf doppeltem Boden – Anne Imhofs Faust und die Architektur der Macht im deutschen Pavillon in Venedig

Eine Besprechung von Maik Novotny

Dornbracht Conversations 6:
Anne Imhof und Susanne Pfeffer im Gespräch mit Hans Ulrich Obrist in der Serpentine Gallery in London

Anne-Imhof: Faust. Deutscher Pavillon zur Venedig Biennale 2017 © Photography: Nadine Fraczkowski, Courtesy: German Pavilion 2017, the artist
 
 
 
 
 
 
 
 

Der deutsche Pavillon auf der Biennale in Venedig ist so etwas wie ein Perpetuum Mobile der kritischen Distanz. Der 1909 als ‚Padiglione Bavarese‘ (bayerischer Pavillon) errichtete Bau wurde 1938 zur Repräsentanz des NS-Regimes monumentalisiert und aller unschuldigen antiken Spielereien entledigt. Eine Geschichte, die alle eingeladenen Kuratoren, Künstler und Architekten zur Gegenposition herausfordert, sowohl programmatisch als auch räumlich.

„Die ungewöhnliche Geschichte des Deutschen Pavillons hat die Künstler zu kreativen Hochleistungen angetrieben“, so die Autorin Ursula Zeller, Herausgeberin des Werks Die deutschen Beiträge zur Biennale Venedig 1895–2007. Angetrieben durch die Weigerung, das Gegebene zu akzeptieren, versuchten zahlreiche Beiträge der letzten Jahrzehnte, das kontaminierte Gebäude zu „neutralisieren“.

Diese Neutralisierung erfolgte mal mehr, mal weniger subtil. Joseph Beuys Installation Straßenbahnhaltestelle war 1976 in ihrer Verräumlichung noch ganz Teil von dessen persönlichem Künstler-Universum. Als Hans Haacke 1993 die Marmorplatten des Bodens herausriss und zerschmetterte und den Schriftzug GERMANIA an der Wand wiederauferstehen ließ, war das als unmittelbare Attacke auf den Ort von niemandem misszuverstehen. 

Andere überlagerten die wuchtige Symmetrie des Pavillons mit gegensätzlichen Raumprogrammen, so etwa Gregor Schneider, der 2001 mit der Arbeit Totes Haus Ur klaustrophobisch-alltägliche Erinnerungsräume aus seiner Kindheit in Mönchengladbach rekonstruierte. Der Beitrag zur Architekturbiennale 2014 ließ Sep Rufs Kanzlerbungalow wiederauferstehen, dessen sachlich-bescheidene Moderne die Idee und Realität eines anderen, besseren Deutschland mit dem Raumkonzept von 1938 überlagerte. 2016 erfolgte schließlich die lustvolle Perforierung des denkmalgeschützten Gemäuers zur Untermauerung der Forderung nach Offenheit der Arrival City.

Ein solches Sich-Abarbeiten birgt natürlich immer die Gefahr der leistungskurshaften Pflichterfüllung: Vergangenheitsbewältigung erledigt, abgehakt, danke. Andererseits möchte man als Künstler auch gerne mal vom Ausstellungsraum in Ruhe gelassen werden. Nicht jeder will immer zur nationalhistorischen Stellungnahme gezwungen werden. Muss man die Marmorplatten jedes Jahr von Neuem zerschmettern? Der deutsche Pavillon ist somit auch die Geschichte einer Distanzierung von der Distanzierung.

Anne Imhofs Faust, der diesjährige Beitrag auf der Biennale, findet einen dritten Weg: Er maximiert und konzentriert die Konfrontation, bis sie in der Verdichtung der Gegenwart so stark wird, dass sie die Historie des Gebäudes hinter sich lässt. Eine Gruppe von Performern, auf und unter einem eingezogenen Glasboden, permanent in Bewegung und unter Spannung gehalten, jeden Tag fünf Stunden bis zum Ende der Biennale. Der Erfolg der ersten Tage, in denen die Besucher jede Bewegung gierig weg-instagramten, verstärkte noch die Grundidee der Ausgesetztheit, der digitalen Transparenz im Neoliberalismus, in der jeder individuell um sein eigenes Körperbild kreist und dieses zur Währung wird, rund um die Uhr dokumentiert. Eine Arbeit, die eindeutig aus dem Jetzt kommt und ebenso eindeutig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.

Wie genau die Auseinandersetzung mit dem Pavillon erfolgte, erklärten Anne Imhof und Kuratorin Susanne Pfeffer bei einem Podiumsgespräch mit Hans Ulrich Obrist im Rahmen der Dornbracht Conversations am 23. Mai in der Serpentine Sackler Gallery in London. „Ich wollte das Gebäude und seine Vergangenheit nicht zum Thema machen“, konstatierte Anne Imhof nüchtern. Dass sie sich aber nichtsdestotrotz genau mit der Architektur auseinandergesetzt hatte, wurde während des Gesprächs, in dem es viel um den Baustoff Glas und um Denk- und Arbeitsprozesse ging, trotzdem offensichtlich.

Das Arbeiten mit Glas sei für sie als Malerin etwas Neues und Ungewöhnliches gewesen, so Imhof. Fasziniert habe sie dabei sowohl die Materialität an sich als auch die Möglichkeit, räumliche Irritationen zu schaffen: „Ich wollte das Gebäude in Stücke schneiden, damit man keinen eindeutigen Eindruck von ihm gewinnen kann. Das Gebäude verändert sich und bleibt durch die Transparenz gleichzeitig sichtbar.“ Der Widerspruch zwischen Härte und Zerbrechlichkeit des Materials mag weite Interpretationsspielräume aufreißen, funktioniert jedoch auch in der direkten Erfahrung: „Ich habe das Glas als Flüssigkeit interpretiert. Man kann in Schichten arbeiten, manches verschwimmt, anderes bleibt klar sichtbar. Der horizontale Glasbodens ist wie ein Swimmingpool mit unberührter Oberfläche.“ Die Schwindelgefühle beim Gehen über diese Oberfläche sind Teil der Inszenierung.

Schwindel für die Besucher, Schwindel für die Performer, die keine Rolle spielen, sondern sich selbst. Anne Imhof konzipierte die Dramaturgie der Bewegungen und Handlungen im Raum gemeinsam mit einem eingeschworenen Team, mit dem sie seit Jahren zusammenarbeitet; die Spannung, die es über die tägliche Routine von sieben Monaten Biennale aufrechtzuerhalten gilt, resultiert dabei aus der Balance zwischen Skript und Improvisation: Die Regieanweisungen erfolgen per SMS. Wenn Anne Imhof von diesen Prozessen erzählt („Wir haben sehr viel mit Schreien gearbeitet“), erahnt man ein kompliziertes soziales Mini-Netzwerk von fassbinderhafter Intensität.

Der Pavillon als Big-Brother-Haus mit Bewohnern als Laborratten in gläsernen Labyrinthen: Eine prekäre Direktheit, in der das geregelte Spiel jederzeit kippen kann. Ein Abbild eines Gesellschaftssystems, so Kuratorin Susanne Pfeffer. „Wir leben in einer Zeit der totalen Transformation, die man in ihrer Gesamtheit kaum begreifen kann. Deswegen habe ich eine Künstlerin gewählt, deren Werk von einem starken Fokus auf Realismus geprägt ist.“

Die politischen Dimensionen der Arbeit blieben in der Gesprächsrunde in London, die sich – ganz dem Realismus verpflichtet – am Fassbaren und Konkreten, an Konstruktion und Organisation abarbeitete, seltsam ausgespart, ein elephant in the room, in einem gläsernen noch dazu. Vielleicht, weil man davon ausging, dass das Publikum sich das alles schon alleine aneignen und anlesen würde. Das Gläserne, so Anne Imhof dann zu ARCH+, verstehe sie aber sehr wohl auch als politisches Statement. Denn die Gleichung ‚Glas = Transparenz = Demokratie‘ sei offensichtlicher Unfug in einer Zeit, in der Schaufenster, Showrooms und Fassaden die ganze Arroganz des Habens und Nicht-Hergebens vermittelten. Glas ist heute ein weitaus passenderes materielles Abbild von Macht. Beweglich, flüssig, überall, oft verschwommen, manchmal unsichtbar.

Die Idee, dass sich Macht in der simpel kodifizierten Monumentalität wie der des Pavillons von 1938 manifestiert, wirkt heute archaisch. Anne Imhofs Faust schiebt diese Geschichte mit einem Achselzucken beiseite und zieht ihr durch die Aufdoppelung des Bodens gleichzeitig den Boden unter den Füßen weg, und das auf viel beunruhigendere Weise als mit ein paar zerschmetterten Marmorplatten. Insofern ist Anne Imhof vielleicht die überzeugendste Gegenposition zu dieser Architektur gelungen, nämlich nicht als Gegenposition, sondern als Update.

Dornbracht Conversations 6 in der Serpentine Gallery. Susanne Pfeffer (links) und Anne Imhof (Mitte) im Gespräch mit Hans Ulrich Obrist.


Dornbracht Conversations (DC) ist eine Plattform für den öffentlichen Diskurs zwischen den Disziplinen Architektur, Design und Kunst. Dornbracht ist zudem Initialsponsor des deutschen Beitrags zur Venedig Biennale 2017.