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Assemble. Wie wir bauen

Ausstellung im Architekturzentrum Wien
1.6.–11.9.2017

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Das Londoner Architekturkollektiv besteht aus 18 gleichberechtigten Mitgliedern und gewann 2015 den begehrten Turner-Preis, Europas angesehenste Auszeichnung im Bereich zeitgenössischer bildender Kunst. Assemble verbinden in ihrer Architektur auf einzigartige Weise gemeinschaftliche Prozesse mit poetischen Räumen und ökologische mit wirtschaftlicher Nachhaltigkeit. Wie wir bauen, wie Dinge gemacht sind, wie Materialien zusammengesetzt werden, an diesen Verhältnissen zeigt sich der Zustand einer Gesellschaft, so der Befund von Assemble (deutsch: zusammenfügen, versammeln). In ARCH+ 209 London stellten wir zwei Projekte des Kollektiv ausführlich vor – Folly for a Flyover und The Cineroleum – an denen die Aspekte des Selbstmachens, Recyclings, der Beteiligen und des Teilens, des Lernen durch Gestaltung deutlich ablesbar sind.

In unserer letztjährigen Ausgabe ARCH+ 222 Projekt Bauhaus 1: Kann Gestaltung Gesellschaft verändern? widmenten wir ihnen das ARCH+ features 47. Ihre Projekte, oft im Selbstbau errichtet, sind Prototypen dafür, wie eine Gesellschaft anders bauen könnte. Philipp Oswalt diskutierte mit Amica Dall und Giles Smith unter anderem die Frage, welche Rolle der Architekt in der Gesellschaft hat:

"Architektur gibt unserer Vorstellung über Menschen und ihre Beziehungen zueinander Form und Präsenz; sie macht sie manifest. Man kann zwar keine neue Gesellschaft schaffen, indem man das Wohnen oder was auch immer neu definiert, aber man kann auf eine Art und Weise bauen, die Vielfalt und eine größere Bandbreite von Möglichkeiten des Umgangs miteinander oder einfach menschlichere Verhaltensweisen unterstützt und fördert. Indem man baut, kann man sehr wirkmächtig zum Ausdruck bringen, wie die Welt ist oder wie sie sein sollte. Es gab mal einen Moment des völligen Utopismus, als man die Gesellschaft durch Architektur umbauen wollte. Dann gab es eine Zeit, in der die Katastrophe offensichtlich wurde. Und jetzt befinden wir uns in einer Situation, in der es peinlich ist, darüber zu sprechen, Wandel durch Gestaltung herbeiführen zu wollen. Gestalter sagen, Gebäude seien nicht politisch, Architektur sei keine politische Angelegenheit, sondern neutral. Aber sie ist eben nicht neutral, das ist einfach nur die derzeitige Haltung. Gebäude können Belege sein für bestimmte Denkweisen über die Welt und die zwischenmenschlichen Beziehungen, das ist sehr interessant." – Amica Dall

 
 
 
 
 

Das Architekturzentrum Wien zeigt nun ab 1. Juni 2017 mit Assemble. Wie wir bauen die weltweit erste Überblicksausstellung zum Werk von Assemble. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, ein starkes Stück Handlungsfähigkeit für die Architektur und für die Nutzer*innen zurückzuerlangen. In den letzten Jahren hat sich unter Architekt*innen ein Gefühl der Ohnmacht breitgemacht: Zu übermächtig scheint der bauindustrielle Komplex, zu groß der Kostendruck, zu überreguliert das System. Mit ihrem ausdrücklichen und doch pragmatischen Optimismus arbeiten Assemble an der Wende von einer investorengeleiteten zu einer nutzergetriebenen Architektur und Stadtentwicklung. Wie würde zum Beispiel eine von Kindern mitgeplante Architektur ausschauen? Weil sich das Medium Sprache als ungeeignet für Mitsprache erwies, werden die 6- bis 12-Jährigen beim Baltic Street Adventure Playground zu ihren eigenen Baumeister*innen. „Better a broken bone than a broken spirit“, so das Leitmotiv des Abenteuerspielplatzes von Assemble, an dem die Kinder täglich weiterbauen können.

„Die Stadt fühlt sich oft starr und übermächtig an, wo sie doch in Wahrheit eine veränderliche und provisorische Anordnung darstellt – ein Ort, der nicht nur früher anders war als heute, sondern bald wieder verändert sein wird. Diese Veränderlichkeit im Auge zu behalten ist zentral, um unsere eigene Handlungsmacht gegenüber der Umwelt zu begreifen und unser kollektives Vermögen, die Bedingungen unseres alltäglichen Lebens zu verbessern und zu erweitern. [...] Unsere Projekte stellen Prototypen, Provokationen oder Chancen für die Erkundung alternativer Möglichkeiten dar, wie die Gesellschaft bauen könnte.“ Assemble, 2016

Schon ihr Erstlingswerk The Cineroleum, ein im Kollektiv errichtetes temporäres Kino in einer aufgelassenen Tankstelle, sorgte für Aufmerksamkeit. Kurz nach Abschluss ihrer unterschiedlichen Studien an der Universität Cambridge markiert das Cineroleum im Jahr 2010 das Gründungsmoment von Assemble, und das bereits in seiner heutigen Form mit 18 Mitgliedern. Kurze Zeit später schufen sie mit dem Yardhouse ebenfalls im Selbstbau leistbare Ateliers und eine kulturelle Landmark im Osten Londons sowie mit dem Blackhorse Workshop eines von mehreren Sozialunternehmen in ihrer jungen Karriere.

Im Rahmen des Projekts Granby Four Streets arbeiten sie gemeinsam mit der lokalen Nachbarschaftsinitiative, einem Community Land Trust, an der architektonischen, sozialen und ökonomischen Wiederaneignung eines historischen Arbeiterviertels in Liverpool. Der Granby Workshop hat sich als Teil dieses Projekts entwickelt und wird mittlerweile von den Bewohner*innen als eigenes Unternehmen geführt. Handgefertigte Fliesen, Türknöpfe, Lampen oder Kaminsimse aus Recyclingmaterialien wurden ursprünglich für die Sanierung der desolaten Reihenhäuser produziert und werden inzwischen landesweit verkauft. Das Projekt Granby Four Streets brachte Assemble den gefragten Turner-Preis ein und sandte gleichzeitig eine wichtige Würdigung in ein Liverpooler Arbeiterviertel. Eine Bewohnerin beschreibt es folgendermaßen: „Assemble brought the Turner Prize to the people’s living room“. 

Nicht nur im Granby Workshop experimentieren Assemble mit erstaunlichen und stets kostengünstigen Materialien. Beim Konzert- und Proberaum OTO wurde der am Gelände vorgefundene Bauschutt in Reissäcke gefüllt und gemeinsam mit den Musiker*innen zu tragenden Wänden mit hervorragenden akustischen Eigenschaften verarbeitet. In ihrem aktuellen Projekt, einer Kunstgalerie für das Goldsmith College in London, werden herkömmliche Faserzementplatten mit einem bisher unbekannten Glamourfaktor versehen.

In der Ausstellung im Architekturzentrum Wien machen Assemble zehn ihrer realisierten „Prototypen“ in großmaßstäblichen Installationen räumlich und haptisch erlebbar. Videos, Zeichnungen und weitere Dokumentationen vermitteln, in welchen gemeinschaftlichen Prozessen die Materialien zusammenfinden. Materialproben fügen eine haptische Ebene hinzu. Eine Publikation in der Az W-Reihe Hintergrund präsentiert die ausgestellten Projekte und gibt vertiefende Einblicke in die Arbeit von Assemble.

Was kann Wien von Assemble lernen? Um dieser Frage nachzugehen, wurde zusätzlich mit der TU Wien eine Gastprofessur von Assemble etabliert. Eine intensive architektonische Recherche zur historischen Stofflichkeit der Stadt rückte im Wintersemester das Material Ziegel und seine sozialen, ökonomischen und ökologischen Kontexte in den Fokus. Im Sommersemester werden die Studierenden zum Selbstbaukollektiv: Wie könnte Wien bauen? Parallel zur Ausstellungseröffnung errichten sie im Hof des Az W einen Pavillon, der mit den Materialien Ziegel und Lehm experimentiert. Über die Sommermonate soll er zur öffentlichen Werkstatt und zum luftigen Treffpunkt für Gespräche und Gedankenaustausch werden.

Projekte von Assemble in der Ausstellung:
Cineroleum (London, 2010), Sugarhouse Studios (London, 2012–), Baltic Street Adventure Playground (Glasgow, 2013), OTOProjects (London, 2013),Yardhouse (London, 2014), Blackhorse Workshop (London, 2014), Granby Four Streets (Liverpool, 2014–), Granby Workshop (Liverpool, 2015–), Granby Wintergarden (Liverpool, 2016–), Goldsmiths Art Gallery (London, 2014–)

Mehr Infos zu Assemble: assemblestudio.co.uk

Kuratorinnen: Angelika Fitz, Katharina Ritter

Zur Ausstellung wird der Hintergrund 55 erscheinen. Erhältlich im Az W Shop sowie im ausgesuchten Fachbuchhandel. Während der Ausstellungslaufzeit sind im Az W-Shop Produkte des von Assemble gegründeten Granby Workshop erhältlich.

Umfangreiches Rahmenprogramm mit Führungen, offener Werkstatt, einem Vortrag von Assemble und Kinderworkshops unter: www.azw.at

Bei der ARCH+ Features-Veranstaltung im Juni 2016 erläuterte Amica Dall das und die Arbeiten von Assemble anschaulich und überzeugend als Prozess mit den Beteiligten, der auch für die Plandenden viele Erkenntnisse bereit hält: