0
ARCH+ news

Norm-Architektur. Von Jean-Nicolas-Louis Durand zum BIM

Internationales Symposion am Deutschen Architekturmuseum Frankfurt Main
20. – 22. Oktober 2017

Mit der Aufklärung setzten Vereinheitlichungen und Normierung in Architektur und im Bauwesen ein, um die Bauproduktion zu beschleunigen, zu verbilligen und Qualitätsstandards zu sichern. Die klassische Avantgarde des 20. Jahrhunderts sah Normierung und Standardisierung als Motoren sozialen und technischen Fortschritts. Auch wenn Konzepte für formgebende, gestaltbestimmende Normen, wie etwa von Ernst Neufert propagiert, sich weitgehend nicht durchsetzen konnten, gibt es heute mehr Normen als je zuvor. Trotz aller Appellen an kulturelle Spezifizität prägen Normen Prozesse und Produkte auf der ganzen Welt durch Formalisierung von materiellen und kognitiven Prozessen. Mit der Einführung von BIM (Building Information Modelling) erfahren diese Verfahren eine zunehmende Relevanz.

Das Symposium fokussiert folgende Themenfelder:

Normiert Entwerfen
In der Moderne kommen Verfahren auf, den Entwurfsprozess zu rationalisieren, zu systematisieren und zu beschleunigen. Es sollen mehr Gebäude schneller entworfen werden, es sollen qualitätsvolle Entwürfe von Leuten mit einfacher Grundausbildung entworfen werden können und es sollen in weitreichenden Hoheitsgebieten Gebäude gleichen Standards realisiert werden. Um dies zu ermöglichen, werden Entwurfshilfsmittel konzipiert, die Entwurfswissen für eine große Zahl von Entwerfern schnell verfügbar und direkt anwendbar machen. Heute entwickeln sich Building Information Modelling-Systeme (BIM) zu Expertensystemen, die mehr als je zuvor mit vorgefertigten Informationen die Planungsprozesse strukturieren.

Normiert Bauen: Normierte Bauteile
Nicht zuletzt imaginierte Ernst Neufert die Normung der Architektur vom Kleinen ins Große. Das Vorbild des Erfolgs des kurz zuvor eingeführten Papierformats vor Augen zielte er auf eine durchgehende Maßkoordination und Normierung im Bauwesen, zunächst aufbauend auf dem Oktaedermaß des Mauerwerkbaus. In Systembauten der 1970er Jahre erreichte dieses Denken seinen letzten Höhepunkt, bei dem die Idee der Norm formbestimmend wurde, dem heute ein Pragmatismus gewichen ist. Heute gibt es zwar – national wie international – so viele Baunormen wie nie zuvor, aber deren Festlegungen im Kleinen beeinflussen Form und Gestalt von Bauwerken kaum, abgesehen von einigen – durchaus relevanten – Sonderbereichen. Zu diesen zählen insbesondere Bauteile mit hoher technischer Ausstattung (Küche, Büro) wie temporäre, schnell zu errichtende Bauten (Container, Gewerbebauten). Die Normung der Bauelemente erlaubt Kosten- und Zeitersparnis bei der Erstellung, Prüfbarkeit und Austauschbarkeit.

Normiert Bauen: Normierte Bauprozesse
Während in vormodernen Gesellschaften das Produktionswissen des Handwerks bei den Produzenten lag, hat sich das Wissen mehr und mehr in die Produkte und Regeln verlagert. Die Normierung ermöglicht hierbei, dass Produkte verschiedener Hersteller bzw. Provenienz in ein Gesamtsystem von gesicherter Qualität zusammengefügt werden können und dass – z.T. gesetzlich vorgeschriebene – Mindeststandards und Qualitäten bei Produkten verschiedener Hersteller gesichert sind (Qualitätskontrolle und Management). Nicht zuletzt bei der Globalisierung der Bauteilproduktion ist dies relevant. Gleichzeitig dient die Produktionsweise von Gebäuden durch weniger ausgebildete Arbeitskräfte vor allem auch der Kosteneinsparung analog zur Massenproduktion durch Arbeiter und Maschinen. Wie beim normierten Entwerfen geht es beim normierten Produzieren darum, gefundene Lösung in großer Breite durchzusetzen und dabei einen Qualitätsstandard abzusichern. Zugleich behindert dieses System Abweichungen nach oben, qualitativ bessere und neue Lösungen zu finden, welche nicht der Norm entsprechen.

Zum Thema der Konferenz erscheint im Frühjahr 2019 ein Heft der Zeitschrift Arch+, das auf den Inhalten des Symposions basiert.

Eintritt: Tagesticket 20€, Konferenzticket 50€. Freier Eintritt für Studierende (Stehplätze).
Vorbestellung / Reservierung: Sekretariat Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen, weckmann@asl.uni-kassel.de

Freitag, 20. Oktober 2017

10.00    Begrüßung: Peter Schmal, Direktor DAM; Prof. Philipp Oswalt, 
Universität Kassel, Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen

10.15    Ambivalenz des Standards. Von der Normalität zur Norm – und zurück? Robert Kaltenbrunner, BBR

Young Researcher Forum


1. Standardisierung der Konstruktion

10:45    Beaux-Arts Esperanto, ca. 1913. * David Bijan Sadighian, M.A., Harvard University, Graduate School of Arts and Sciences, History of Art and Architecture, Cambridge

11:05    Das industrielle Traktat: Wie die Handbücher des 19. Jahrhunderts den Architekten geformt haben. * Erik Carver, M.Arch., M.Phil., Columbia University, New York City

11:25    Kaffeepause

11:50    Der Stil des Standard Vernacular: Prozesse und Praktiken über die Plan-Fabrik hinaus. * Paula Lupkin, PhD, University of North Texas, Denton, Texas, Department of Art Education and Art History

12:10    Vyacheslav Oltarzhevksky’s Dimensions-Handbuch für Architekten von 1947: Spionage und Rekonstruktion in der UdSSR. * Samuel Delehanty Omans, M.A., Spitzer School of Architecture, 
City College New York und Institute of Fine Arts, New York University, New York City

12:30    Diskussion. Moderation: Kilian Enders und Nader Vossoughian

13:00 – 14:00 Mittagessen

2. Standardisierung der Planung

14:00    Standardisierung des Baugeschäfts: Management 
und Marketing im The Architect’s Handbook, 1963–1988. * 
Michael Abrahamson, M.Arch.S. in Criticism, Taubman College of Architecture and Urban Planning, History and Theory of Architecture, University of Michigan, Ann Arbor

14:20    Experimenteller Schulbau und die Logik des Rasters. 
Jean Prouvés Schulen in der Nachkriegszeit. * Adrian Leander Pöllinger, MSc., Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich

14:40    Präfabrikations-Fieber im Kalten Krieg. * Juliana Kei, M.Arch., 
School of Humanities, Royal College of Art, History of Desgin, London

15:00    Standardisierung von Rechtsverhältnissen: -Vorfabrizierte Häuser in Stahlbauweise, Arbeit und Automatisierung im Nachkriegs-Amerika, 1943–1968. * Manuel Shvartzberg Carrió, M.A., M.Phil., Columbia University, Architecture History and Theory, New York City

15:20    Offene Vorfabrikation / Offene Spezifikation: Freiheit zum ästhetischen Urteil oder Freiheit von sozialer Verantwortung? * Tijana Stevanović, MA, Grad.Eng.Arch. (MArch), School of Architecture, University for the Creative Arts and Bartlett School of Architecture, University College London, History and Theory

15:40    Diskussion. Moderation: Philipp Oswalt und Jan Bovelet

16:45    Kaffeepause

3. Effekte und Abweichungen

17:20    Minimalstandards: das South African Building Research Institute und das NE-51 / 6 Haus, 1947–1952. * Rixt Woudstra, M.A., History, Theory and Criticism of Architecture, MIT, Cambridge

17:40    Abweichung vom Standard: Die Gipskartondecke (»greenboard«) im McCormick Tribune Campus Centre. * Mhairi McVicar, PhD, Welsh School of Architecture, Cardiff UniverMity, Cardiff

18:00    Die normalste Stadt Deutschlands. * 
Dipl.-Ing. Marcin Daniel Ganczarski, M.Phil., ETH Zürich

18:20    Diskussion. Moderation: Philipp Oswalt und Jan Bovelet


Samstag, 21. Oktober 2017

9.30    Einführung: Prof. Philipp Oswalt, Universität Kassel, Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen

1. Standardisierung des Entwerfens


A. Historische Grundlagen

10:00    Die Einführung von standardisierten Maßsystemen 
in der Aufklärung. * Dr. Aashish Velkar, University of Manchester, Economic History

10:30    Jean-Nicolas-Louis Durand’s Entwicklung von Standard-Typen * Prof. Dr. Antoine Picon, Harvard University, GSD, Director of Research

11:00    Das DIN Format. Prof. Dr. Markus Krajewski, Universität Basel, Fachgebiet Medienwissenschaft

11:30    Kaffeepause

11:45    Standardsierungsprozesse / Standardisierung des Standards: Die Geschichte der DIN. Dr.-Ing. Matthias Witte, DIN-Normenausschuss Bauwesen

12:15    Diskussion: Christa Kamleithner, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik UdK und Philipp Oswalt

13:15    Mittagspause

B. Von Neufert zu BIM

14:30    Schnell-Entwerfen mit Ernst Neufert. Dr. Gernot Weckherlin, G-Prof. BTU Cottbus, Architekturtheorie

15:00    Expertensysteme. Prof. Dr. Christian Kühn, TU Wien, Architektur, Gebäudelehre und Entwerfen

15:30    BIM aus der Perspektive des Architekten. Dr. Alexander Rieck, Lava Architects, Stuttgart

16:00    Standardisierung und scripting. Prof. Thomas Auer, 
TU München / Transsolar

16:30    Kaffeepause

17:00    BIM aus der Perspektive des Ingenieurs. Prof. Manfred Grohmann, Universität Kassel / Bollinger + Grohmann Ingenieure

17:30 – 18:30 Diskussion. Moderation: Jan Bovelet und Kilian Enders


Sonntag, 22 Oktober 2017

2. Standardisierung des Bauens


A. Standardisierte Bauelemente

9:30    Ernst Neufert und das oktametrische System. * Prof. Dr. Nader Vossoughian, New York Institute of Technology, School of Architecture and Design

10:00    Standardisierung im Krankenhausbau. Prof. Christine Nickl-Weller, TU-Berlin, Nickel-Architekten, München

10:30    Das genormte Büro. * Hyun-Tae Jung, Assistant Professor Lehigh University

11:00    Kaffeepause

11:30    Fritz Haller und die totale Planung. Prof. Dr. Georg Vrachliotis, KIT-Karlsruhe, Architekturtheorie

12:00    Diskussion. Moderation: Kilian Enders und Christa Kamleithner

13:00    Mittagspause

B. Standardisierte Prozesse

14:00    Das Kontainerprinzip. Alexander Klose, Berlin

14:30    Normen und Regeln beim Entwurf moderner und innovativer Fassaden. Prof. Dr. Daniel Pfanner, University of Applied Sciences, Frankfurt / Main

15:00    Standardisierung vor Ort: Die Rolle von Fertigkeiten bei 
Konstruktionsprozessen in der Mitte des 20. Jahrhunderts 
in England. * Dr. Christine Wall, University of Westminster, 
Centre for the Study of the Production of the Built Environment

15:30    Kaffeepause

16:00    Normversagen. Fallbeispiel Grenfell Towers
Samuel Webb, Royal Institute of British Architects

16:30    Diskussion. Moderation: Jan Bovelet und Philipp Oswalt

17:30    Pause

18:00    Genormtes Denken? Einführung: Georg Augustin.,

Im Anschluss Diskussion mit Ministerialdirektorin Monika Thomas (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit), Prof. Manfred Grohmann, Prof. Dr. Antoine Picon, 
Moderation: Kilian Enders, Philipp Oswalt


Mit * markierte Vorträge werden auf Englisch gehalten.

Ausführliche und aktualisierte Informationen unter: www.uni-kassel.de/go/norm

Veranstalter:

Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen, Universität Kassel, 
in Kooperation mit ARCH+ und projekt bauhaus

Unterstützt von 
Forschungsinitiative Zukunft Bau – BBSR / BMUB (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung / Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit); Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG; Wüstenrot Stiftung und Pfeiffer Stiftung

 

Standard Architecture. From Jean-Nicolas-Louis Durand to BIM

From 20 – 22 october 2017, the international symposium Standard Architecture will be held at the Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt am Main.

Lectures marked with * in the program shown above will be held in English and the symposion will be supported by simultaneous translation from German to English.

Standardization has played a key role in architecture and construction since the Enlightenment. It accelerates building production, reduces costs, and assures quality control, at least in theory. The classical modernists of the 20th century treated standardization and normalization as engines of social and technical progress. Even though concepts for mandatory, form-giving standards—like those proposed by Ernst Neufert—never established themselves, there are more standards today than ever before. Despite appeals to cultural specificity, standards shape processes and products all around the world through the digitization and rationalization of cognitive processes. With the introduction of BIM (Building Information Modeling), these processes are becoming increasingly relevant. At the same time, catastrophes like the Grenfell Tower fire in London or the collapse of the Savar building in Bangladesh are drastic examples of the failure of standards as a result of neoliberal policies. In the scope of the three-day conference at the Deutsches Architekturmuseum (DAM), more than 30 international experts from a wide range of disciplines debate the cultures of standardisation from 1800 up to the present, focusing on the standardisation of design processes, construction processes and building components and their effects on architecture.

Standardized Design Processes
Modernity has given rise to processes that rationalize, systematize, and accelerate the designing of buildings. More structures need to be built more quickly all the time. Designs are often executed by unskilled or semi-skilled workers. Buildings are being erected in disparate places around the world through the use of identical specifications. To make all this possible, design tools have been created that enable people to generate and implement a great number of design-related tasks simultaneously. Today, Building Information Modeling Systems (BIM) use standardized forms of information to automate planning and design and to supplement human with artificial forms of intelligence.  

Standardized Building Elements 
Ernst Neufert tried to standardize architecture at all scales, from the very small to the very big. Adopting paper formats as his model, he sought to systematize building components using (among other means) his octametric system of dimensional coordination. This project reached its climax in the 1970s, but lost a good deal of its currency in the years thereafter. Today, there are more standards than ever—and they often operate on a national and international level—but their influence on form-making has proven harder to trace. It goes without saying that they continue to shape the design of spaces that have a great number of technical needs and requirements (kitchens and offices, for example), as well as temporary buildings and storage facilities (containers and container ports, for example). 

Standardized Building Processes
While knowledge rested squarely with the individual producer in premodern societies, it can be said that it is anchored today in objectified rules and specifications, many of which are sanctioned by liability concerns and multi-national contractual agreements. Arguably, standardization ensures that products that are manufactured by different companies are in fact compatible. This is important where the manufacturing of building components is concerned. According to some, however, it can also stifle innovation and compromise the exercise of know-how and common sense.  

Speakers will include:

Manfred Grohmann (Universität Kassel, Professor for Structural Design), Alexander Klose (Author/ Container Researcher); Markus Krajewski (Universität Basel Professor für Medienwissenschaft), Antoine Picon (Harvard University, GSD, Director of Research), Gernot Weckherlin (BTU Cottbus, Professur für Architekturtheorie), Aashish Velkar, (University of Manchester, Lecturer in Economic History), Nader Vossoughian (New York Institute of Technology, School of Architecture and Design), Georg Vrachliotis (KIT-Karlsruhe, Professur für Architekturtheorie), Christine Wall (University of Westminster, Reader in Architectural and Construction History)

Detailled program at www.uni-kassel.de/go/standard

Drawing on the results of the symposium, ARCH+ will publish a special issue dedicated to the topic.

Supported by Forschungsinitiative Zukunft Bau – BBSR/ BMUB (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung / Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit), Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG, Wüstenrot Stiftung and Pfeiffer Stiftung

Organized by the Department of Architectural Theory and Design, Prof. Philipp Oswalt, University of Kassel