Eines der wiederkehrenden Themen von ARCH+ war und ist das Wohnen. Denn es gibt kaum ein politischeren Zugang zur Architektur als über das Wohnen.ARCH+ 229:
Anh-Linh Ngo: Ein zentrales Feld der politischen Arbeit war für Euch das Wohnen und die Stadtteilarbeit, auch im Zusammenhang mit der Stadterneuerung, gegen die sich ab Mitte der 1970er-Jahre eine massive Protestbewegung organisierte. Wie hat sich dieser Diskurs entwickelt?
Nikolaus Kuhnert: Einerseits begannen die Erfahrungen der Studentenbewegung mit neuen Wohnformen in die Disziplin zurückzustrahlen. Dadurch, dass das Wohnen im Zusammenhang mit Geschlechterbeziehungen, der Frauenbewegung, der Kindererziehung diskutiert wurde, blieb es nicht nur ein Teil des privaten Lebens, sondern wurde politisch. Andererseits waren Wohnen und Stadtteilarbeit der erste Schritt, der die Studentenbewegung aus der Universität herausführte. Zur selben Zeit begann in den Bürgerinitiativen auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Wohnens, beispielsweise mit den Wohnkonzepten des Deutschen Werkbundes.
Ausstellung Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter?
Zur Eröffnung sprechen
Dr. h.c. Kristin Feireiss, Aedes Architekturforum, Berlin
Anh-Linh Ngo, ARCH+, Berlin
Anna Popelka & Georg Poduschka, PPAG architects, Wien
Mit dem Fokus auf zukunftsweisende Wohnformen zählt PPAG architects zu den führenden Protagonisten zeitgenössischer Baukunst in Österreich. Seit 1995 arbeitet das von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründete Wiener Architekturbüro mit dem Anspruch, durch innovative Lebensräume eine Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu stimulieren. ‚Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter?‘ zeigt ein 1:1 Modell ihrer Idee einer elastischen Raumkonfiguration für eine Wohnung. In der Installation finden sich Pläne, Zeichnungen und Filme über geplante und realisierte Gebäude von PPAG, darunter Wohnbauten sowie städtebauliche Projekte in Wien und Berlin. Die Ausstellung vermittelt neue und spannende Lösungen, die den Ansprüchen vielfältiger Lebensweisen und -phasen gerecht werden.
Fragt man einen beliebigen Wohnbauträger nach seinen Vorstellungen und Zielen, dann bekommt man in ganz Europa im Grunde dieselbe Antwort: Einraumwohnungen, Zweiraumwohnungen, Dreiraumwohnungen, Vierraumwohnungen: Nur die Prozentangaben variieren. Visionäre Ideen für das Zusammenleben sind darin nicht enthalten. Die Wohnung selbst ist in Europa seit der Moderne weitgehend standardisiert. Die Größen der einzelnen Wohnungstypen ebenso wie der Grundriss.
Aber was kann die Wohnung zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft beitragen? Jede Wohnung ist eine Propagandamaschine für eine Lebensweise. Sind wir wirklich so gleich, dass wir uns so gleiche Wohnungen wünschen? Oder sind wir so gleich, weil wir in so gleichen Wohnungen leben?
Wollen wir das? Geht es auch anders? Wie sieht dann die Stadt aus? Wollen wir uns mit den Typologien der Gründerzeit begnügen?
Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter? zeigt das abstrakte 1:1 Modell der Idee von einer elastischen Wohnung. Diese 54 Quadratmeter sind nicht die Lösung der Wohnungsfrage, aber eines von vielen denkbaren Angeboten eines wirklich heterogenen Wohnungsmarktes.