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ARCH+ news

Wie politisch ist das Bauhaus? / How political is the Bauhaus?

Sa 19.1.2019,14–21:30h
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
Eintritt frei / Free entrance



Zum Auftakt des Jubiläumsjahres greift eine gemeinsam von HKW und ARCH+ kuratierte Veranstaltung zentrale Fragen zum Bauhaus auf – von der Erziehung der Gesellschaft über die Wohnungsfrage bis hin zur Internationalisierung. Was können Institutionen, die heute unter Beschuss von rechts stehen, daraus lernen?

Das Bauhaus ist aus einer Zeit hervorgegangen, die in ihrer Krisenhaftigkeit Parallelen zur gegenwärtigen Situation aufweist. Wieder steht die Autonomie der Kunst in Frage, erneut wird versucht, Kultur an Nation und Volk zu binden. Mit welchen Strategien haben die rechten Kräfte damals operiert? Und wie hat sich das Bauhaus gegenüber diesen Angriffen verhalten? Zu diesen Fragen kommen Aktivist*innen, Expert*innen, Künstler*innen und das Publikum zu Wort.

Mit Beiträgen von Arjun Appadurai, Regina Bittner, Beatriz Colomina, Theresia Enzensberger, Jesko Fezer, Thomas Flierl, Ayşe Güleç, Ulrike Hamann, Christian Hiller, Joy Kristin Kalu (Die Vielen), Bianca Klose, Gisela Mackenroth, Anh-Linh Ngo, Jacobus North (Feine Sahne Fischfilet), Marion von Osten, Philipp Oswalt, raumlabor (Benjamin Foerster-Baldenius, Dorothee Halbrock), Stefan Rettich, Bernd Scherer, Schroeter und Berger (Besorgte Bauhäusler*innen), Justus H. Ulbricht, Mark Wigley u. v. a.

Auf Deutsch/Englisch mit Simultanübersetzung in die jeweils andere Sprache

Eine Kooperation von Haus der Kulturen der Welt, ARCH+ und Bauhaus100, kuratiert von Bernd Scherer, Christian Hiller, Anh-Linh Ngo. Gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

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How political is the Bauhaus?

In the anniversary year of Bauhaus, HKW and ARCH+ take up key questions raised by Bauhaus—from civil education to housing questions and internationalization. What can institutions that are today confronted with attacks from the right learn from the history of Bauhaus?

The Bauhaus emerged from a crisis-ridden time that shows parallels to the current situation. Again the autonomy of art is in question; again attempts are being made to bind culture to nation and people. What strategies did right-wing powers use back then? And how did the Bauhaus behave towards these attacks? Activists, experts, artists, and the audience will have their say on these questions.

With contributions by Arjun Appadurai, Regina Bittner, Beatriz Colomina, Theresia Enzensberger, Jesko Fezer, Thomas Flierl, Ayşe Güleç, Ulrike Hamann, Christian Hiller, Joy Kristin Kalu (Die Vielen), Bianca Klose, Gisela Mackenroth, Anh-Linh Ngo, Jacobus North (Feine Sahne Fischfilet), Marion von Osten, Philipp Oswalt, raumlabor (Benjamin Foerster-Baldenius, Dorothee Halbrock), Stefan Rettich, Bernd Scherer, Schroeter und Berger (Besorgte Bauhäusler*innen), Justus H. Ulbricht, Mark Wigley, and many more.

In German / English with simultaneous translation into the other language

A cooperation of Haus der Kulturen der Welt, ARCH+ and Bauhaus100, curated by Bernd Scherer, Christian Hiller, Anh-Linh Ngo. Funded by Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

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Hintergrund

In Deutschland wie in anderen Ländern breiten sich gegenwärtig Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus erneut aus. In vielen Bereichen sind von vorangegangenen Generationen erkämpfte Rechte und Freiheiten bedroht, die pluralistischen und demokratischen Gesellschaften befinden sich in einer Krisensituation. Verstärkt wird die Krise durch die Verbreitung digitaler Technologien, die Filterblasen hervorbringen und sogenannte alternative Fakten befördern, deren Folgen die Zersplitterung der Öffentlichkeit sowie die Zersetzung des zivilgesellschaftlichen Diskurses sind. Im Kampf um die Diskurshegemonie sind kulturelle Institutionen vermehrt Angriffen rechter Kräfte ausgesetzt. Kann vor diesem Hintergrund das Bauhaus, das Zeit seines Bestehens von 1919 bis 1933 von Rechts attackiert wurde, Denkressourcen und Strategien für den Umgang mit gesellschaftlichen Krisensituationen und rechten Entwicklungen bieten?

Das Bauhaus selbst ist aus einer Zeit hervorgegangen, die in ihrer Krisenhaftigkeit Parallelen zu unserer gegenwärtigen Situation aufweist. Die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, die Novemberrevolution und Gründung der Weimarer Republik, Industrialisierung, Urbanisierung, das Aufkommen der Massenmedien und die Weltwirtschaftskrise brachten tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen mit sich. Das Bauhaus hat seinen Ursprung in diesem Moment, der zugleich prekär und revolutionär war. Einige Bauhäusler waren zuvor in dem im Kontext der Novemberrevolution entstandenen Arbeitsrat für Kunst engagiert, der mit Hilfe von Architektur und Kunst eine soziale wie ästhetische Revolution in Deutschland befördern wollte, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Das Bauhaus und die klassischen Avantgarden formulierten den Anspruch, durch Gestaltung Gesellschaft positiv verändern zu können. Mit dem Aufstieg des Bauhauses zur globalen Marke ist sein politischer Gehalt in Teilen verloren gegangen. Gleichzeitig ist das Bild seiner Radikalität und Fortschrittlichkeit selbst ein Mythos, das Resultat von Selbst- und Fremdstilisierungen. Im Jahr seines 100-jährigen Gründungsjubiläums über dessen mögliche Aktualität zu sprechen, erfordert daher eine kritische Hinterfragung des Erbes des Bauhauses: Wie revolutionär war das Bauhaus? Inwiefern war es politisch? Haben sich seine Versprechen eingelöst? Was können heutige Institutionen von der Geschichte des Bauhauses lernen? Wie können sie einen Beitrag dazu leisten, neue Räume der Öffentlichkeit und der demokratischen Teilhabe zu schaffen und zu sichern?

Zum Auftakt des Jubiläumsjahres greift die Veranstaltung im HKW zentrale Momente des Bauhauses auf – die politische Anbindung an die Novemberrevolution, die Erziehung des neuen Menschen, die architektonischen und städtebaulichen Antworten auf die Wohnungsfrage, die Frage nach Internationalisierung und Gleichberechtigung sowie die Attacken von Rechts – und diskutiert die gesellschaftlichen Versprechen des Bauhauses, ihre Auswirkungen und deren Relevanz für heutige Krisen mittels Vorträgen, Gesprächen mit Expert*innen und Aktivist*innen, performativen und künstlerischen Positionen von Olaf Nicolai, Raumlabor und Wolfgang Tillmans. Abschließend sollen die Möglichkeiten demokratischer und gleichberechtigter Debatte auch praktisch erprobt werden im Fish-Bowl-Format, das ein breites Publikum in die Diskussion miteinbezieht.

Pädagogik / Erziehung der Gesellschaft

Hundert Jahren nach der Gründung des Bauhauses in Weimar ist der Kampf um eine demokratische Gesellschaft erneut notwendig geworden. Dafür bedarf es zwingend aufgeklärter Subjekte. Der politische Moment des Bauhauses drückte sich nicht zuletzt in seinem Verständnis von einer neuen, sozialreformerischen Pädagogik aus. Die bewusste Gestaltung der architektonischen wie auch medialen Umwelt sollte der Schaffung eines neuen Menschen dienen, der sich in einer durch Massenmedien und Urbanisierung rasant verändernder Lebensrealität zurechtfinden und selbstbestimmt handeln sollte. Neben einer emanzipativen Erziehung der Menschen zu demokratischen Subjekten dienten die am Bauhaus entwickelten Kommunikationsmittel aber auch seiner eigenen Vermarktung. Der Erfolg des Bauhauses als globale Marke, so argumentieren Beatriz Colomina und Mark Wigley, ist auch der Abmilderung seiner partiell radikalen Gestaltungs- und Erziehungskonzepte zugunsten wirtschaftlicher Aspekte geschuldet.
Können die revolutionären Ansätze des Bauhauses wieder fruchtbar gemacht werden? Kann oder sollte die Gestaltung heute wieder als Mittel zur Erziehung der Gesellschaft zum Einsatz gebracht werden? Oder sollte sie vielmehr dazu eingesetzt werden, Orte für selbstorganisiertes und demokratisches Lernen zu schaffen? Mit diesen Fragen befassen sich Raumlabor, die mit der Floating University im Sommer 2018 eine experimentelle Plattform geschaffen haben, die akademische mit informeller Wissensproduktion verband und eine breite Öffentlichkeit miteinbezog. Können solche Orte dazu beitragen, gemeinschaftliche Visionen für das Leben der Zukunft zu erarbeiten?

Wohnungsfrage / Stadtentwicklung

Finanziell und politisch von der rechtsgerichteten Thüringer Regierung unter Druck gesetzt, beschloss das Bauhaus 1925 den Umzug von Weimar nach Dessau. Mit der Einladung der sozialdemokratisch geführten Dessauer Stadtregierung war auch die Hoffnung verbunden, das Bauhaus würde Lösungen für die Wohnungskrise bieten. Als sich diese Erwartung nicht erfüllen sollte, entzogen auch die Sozialdemokraten dem Bauhaus zunehmend ihre Unterstützung. Symptomatisch dafür steht Gropius’ Arbeitersiedlung in Dessau-Törten, die zwar vergleichsweise hohe Wohnstandards bot, jedoch an dem Anspruch scheiterte, billigen Wohnraum für die Massen zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteil, die Kosten der Siedlung brachte den Stadthaushalt in eine bedrohliche Schieflage. Heute steht Deutschland wieder vor einer neuen Wohnungsnot. Rechtspopulistische Bewegungen nutzen städtische Krisen wie Verdrängung und Demokratiedefizite in der Stadtentwicklung für ihre Deutungsmuster, die Exklusion und die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vorantreiben. Wie können Wohnungs- und Stadtpolitik der Segregation der Gesellschaft entgegenwirken? Wie kann entgegen populistischer Verheißungen tatsächliche Teilhabe an der Stadtentwicklung ermöglicht werden?

Emanzipation / Internationalisierung

Mit dem Bauhaus verband sich die Hoffnung auf ein emanzipatives Gesellschaftsmodell, in dem Internationalität Nationalismen ablösen und alte Hierarchien gerechteren Klassen- und Geschlechterverhältnissen weichen sollten. Im Gegensatz zu vielen anderen Kunstakademien seiner Zeit war Frauen der Zugang zum Bauhaus möglich, doch für die meisten beschränkte sich das auf die Textilklasse, vom restlichen Curriculum blieben sie weitestgehend ausgeschlossen. Inspiration für die in der Weberei Werkstatt entwickelten Stoffe fanden die Bauhausschüler*innen auch in ethnologischen Sammlungen. Der Umgang mit anderen Kulturen scheint damit mehr durch Exotismus und koloniale Aneignung als durch Gleichberechtigung geprägt. In der Nachkriegszeit hat sich die Moderne global verbreitet, unter der Behauptung ihres Universalismus wurde sie Teil der Globalisierung. Die industrielle Standardisierung und Massenproduktion, die in den Werkstätten des Bauhaus experimentell erprobt wurde, brachte globale Produktionslogiken mit hervor, die statt einer Sicherung grundlegender Lebensstandards für alle zu einer Verfestigung globaler Ungleichheiten führten. Bis heute hat sich der Anspruch auf Gleichberechtigung weder in Bezug auf die Geschlechter noch auf Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Kulturen eingelöst, tradierte Geschlechterrollen und Rassismus erstarken erneut. Es scheint dringlicher denn je, den Blick gerade auch auf die inneren Widersprüche des Bauhauses zu richten, um tradierte Denkmuster zu überwinden und eine wirkliche Emanzipation und Gleichberechtigung zu befördern.

Politische Rolle kultureller Institutionen

Seit seiner Gründung war das Bauhaus Ziel national-konservativer bis nationalsozialistischer Attacken, die letztlich zu den Schließungen des Bauhauses, zur Verfolgung bis hin zu Exil und Tod vieler seiner Mitglieder führten. Heute sind kulturelle Institutionen wieder Angriffen von Rechten ausgesetzt, die die Kultur zum Feld ideologischer Kämpfe machen. Wieder steht die Autonomie der Kunst in Frage, erneut wird versucht, Kultur an Nation und Volk zu binden. Mit welchen Strategien haben die rechten Kräfte damals operiert und wie hat sich das Bauhaus gegenüber diesen Angriffen verhalten? Was können Institutionen, die heute unter Beschuss von Rechts stehen, daraus lernen? Wie können sich Künstler*innen und Institutionen positionieren, wenn die Rechten die Einforderung politischer Neutralität gegen sie wenden? Wie können kulturelle Institutionen den Zugang für bisher ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen erleichtern, um sich als Räume der demokratischen Aushandlung der Vielen zu sichern? Welche neuen Bündnisse sind dafür notwendig? Können sie als Vermittler wirken, ohne zum Instrument der Propaganda der Rechten zu werden oder selbst zur Normalisierung derer Positionen beizutragen?