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Ideal Standard. Spekulationen über ein Bauhaus heute im Zeppelin Museum

Mit Arbeiten von Katarina Burin, Erika Hock, Christopher Kulendran Thomas (in Zusammenarbeit mit Annika Kuhlmann), Pakui Hardware und Andrea Zittel
 

von Alexander Stumm

Die Ausstellung Ideal Standard. Spekulationen über ein Bauhaus heute im Zeppelin Museum Friedrichshafen widmet sich dem Bauhaus nicht als historisches Phänomen, sondern stellt anhand zeitgenössischer künstlerischer Positionen spekulative Überlegungen über die Aktualität des Bauhauses an.

Eine Fragestellung der Kuratoren Dominik Busch und Erika Hock bilden feministische Perspektiven: Die theoretisch proklamierte Gleichberechtigung von Mann und Frau blieb in der historischen Institution Bauhaus de facto ein uneingelöstes Versprechen. Zweiter Themenkomplex der Ausstellung sind die Bauhaus-Maximen der Massenproduktion und Technisierung sowie die gegenwärtige Neoliberalisierung und Selbstoptimierung von Individuum, Stadt und Umwelt als Ausgangspunkt für spekulative Zukunftsszenarien.

Frauen standen im Bauhaus stets im Schatten ihrer männlichen Meister. Eine von ihnen war Lilly Reich, Partnerin von Ludwig Mies van der Rohe. Ihre Ausstellungsarchitektur Café Samt und Seide für die Seidenmesse in Berlin 1927 dient für die Künstlerin und Kokuratorin Erika Hock als Ausgangspunkt für ihre Arbeit aus semitransparenten und permeablen Fäden, die gleichzeitig als Kunstwerk und als Gliederung des Ausstellungsraums funktioniert.

Wenn selbst die prominente Lilly Reich vom übermächtigen Mies van der Rohe überschattet wurde, verwundert es zunächst kaum, in der Ausstellung auf eine gänzlich unbekannte kroatische Architektin zu stoßen, deren Leben und Werk in der Architekturgeschichte nirgends auftaucht. In einem meisterhaften Verwirrspiel um die angeblich 1899 im mährischen Zlín geborene Petra Andrejova-Molnár, deren „Wiederentdeckung“ sich die Künstlerin Katarina Burin zum Thema eines laufenden Projekts macht, wird die Genderproblematik auf empathischer Weise verhandelt. Burin verwebt dabei die fiktionale Biografie Ihrer Kunstfigur glaubhaft mit tatsächlichen Gegebenheiten der Architekturgeschichte und macht diese zu einer entschlossenen Akteurin der Architekturszene der 1920er- und 1930er-Jahre: In der detailliert ausgearbeiteten Biografie studiert Andrejova als eine der ersten Frauen an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, wo sie von Josef Hoffmann und vor allem Adolf Loos beeinflusst wird. Ihren Doppelnamen erhält sie durch eine kurzlebige Ehe mit dem ungarischen Architekten Farkas Molnár, seines Zeichens Bauhausschüler, Mitarbeiter von Walter Gropius und Mitbegründer der ungarischen Sektion der CIAM. Bei Bohuslav Fuchs arbeitet sie an dessen Hotel Avion in Brünn (1927–29) mit und ist später im Büro des Prager Architekten Jaromír Krejcar tätig.

Burin weist in der Ausstellung das Hotel Nord-Sud als Hauptwerk von Petra Andrejova-Molnár aus, die stets mit ihren Initialen P.A. signierte. Das 1932–34 im kroatischen Küstenort Zadar errichtete Hotel, ein zweistöckiger Flachdachbau mit großzügiger Verglasung, ist dem Neuen Bauen verpflichtet. Mit dessen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg sei auch die Figur Andrejova-Molnár in Vergessenheit geraten.

Burin zeigt in der Ausstellung eine Vielzahl fiktiver Arbeiten von P.A. – Collagen, Zeichnungen, Pläne und Modelle – sowie Fotomontagen, die die P.A. mit real existierenden Architekten zeigen. Ein Ausstellungskatalog einer Petra Andrejova-Molnár angeblich gewidmeten Retrospektive, die 1976 in London stattfand, imitiert perfekt Kunstpublikationen der 1970er-Jahre. Kurzum: Die Arbeit steigert mit einem dichten Netz aus Werken und biografischen Daten die Fiktionalität zur glaubhaften Simulation.

Die im heutigen Slowenien geborene, in Kanada und den USA aufgewachsene Burin (*1975) bedient sich einer dem geschichtswissenschaftlichen Diskurs eigenen Methodik, mit der sie ihrer Fiktion verblüffende Plausibilität verleiht. Damit unterwandert Burin nicht nur geschickt eine Neutralität suggerierende wissenschaftliche Ästhetik, sondern schafft in ihrer Konsequenz (in allen Arbeiten gibt sich Burin als Autorin nicht zu erkennen) etwas, das man in Anlehnung an eine Idee von Boris Groys als „simulierte Architekturgeschichte“ bezeichnen kann. Die immense Arbeit der Künstlerin verschwindet gänzlich hinter dem Konstrukt ihrer eigenen Fiktion.

 
 
 
 
 
 
 
 

Ebenfalls fasziniert von Frauenfiguren der Moderne wie Anni Albers oder Gunta Stölzl ist Andrea Zittel, die mit ihren A–Z Living Units ästhetisch dem Bauhaus verpflichtete Wohnmodelle konstruiert. Die in der Ausstellung gezeigte Installation zitiert lose die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky als Meilenstein einer modularen, standardisierten Wohneinheit mit individualisierbaren Elementen. Zittels ultraflexibles, Küche, Wohn- und Schlafzimmer auf 5 Quadratmeter fusionierendes Modul auf Rollen übersteigert den Effizienzgedanken bis ins Absurde und legt die dieser gestalterischen Maxime immanente Isolation des Individuums offen.

Die zwischen Dokumentation und Imagefilm changierende Videoarbeit 60 Million Americans Can’t Be Wrong des britischen Künstlers Christopher Kulendran Thomas (in Zusammenarbeit mit Annika Kuhlmann) widmet sich einer spekulativen, nahen Zukunft, in der eine im weitesten Sinne an AirBnB orientierte digitale Plattform namens New Eelam „global roaming subscription homes“ bereitstellt. New Eelam (das erstmals auf der Berlin Biennale 2016 präsentiert wurde) bietet seinen Nutzern jederzeit und in allen Metropolen des Planeten ein Apartment. Die mit der Euphorie des Silicon Valley spielende Videoarbeit suggeriert eine Welt, die keine nationalen Grenzen mehr kennt. Was zuerst als Möglichkeit für eine neue Gemeinschaft klingen mag, entpuppt sich hier jedoch als endgültiger Siegeszug des Libertarismus. New Eelam ist ein Mimikry des Plattform-Kapitalismus – eine künstlerische Arbeit, die heute in genau dieser Form in einem digitalen Immobilien-Start Up erdacht werden könnte. Die postkritische Position von Thomas legt die perfide Ästhetik der „smarten“ New Economy offen.

Die Ausstellung im Zeppelin Museum in Friedrichshafen versammelt auf eine selten gelungene Weise aktuelle und spekulative Fragestellungen des Phänomens Bauhaus. Der Museumsbau, der ehemalige Hafenbahnhof aus dem Jahr 1933, ist eine der eindrucksvollsten Architekturen der Neuen Sachlichkeit in Baden-Württemberg und als solche einen Besuch wert. Mit seiner ungewöhnlichen Doppelfunktion als Kunst- und Technikmuseum steht es zudem trefflich in der Tradition des Bauhauses, getreu dem Motto von Walter Gropius: „Kunst und Technik – eine neue Einheit“.
 

Ideal Standard. Spekulationen über ein Bauhaus heute
Zeppelin Museum Friedrichshafen
30.11.2018 – 28.04.2019
Mit Arbeiten von Katarina Burin, Erika Hock, Christopher Kulendran Thomas (in Zusammenarbeit mit Annika Kuhlmann), Pakui Hardware und Andrea Zittel
www.zeppelin-museum.de