von Alexander Stumm
Die Ausstellung Ideal Standard. Spekulationen über ein Bauhaus heute im Zeppelin Museum Friedrichshafen widmet sich dem Bauhaus nicht als historisches Phänomen, sondern stellt anhand zeitgenössischer künstlerischer Positionen spekulative Überlegungen über die Aktualität des Bauhauses an.
Eine Fragestellung der Kuratoren Dominik Busch und Erika Hock bilden feministische Perspektiven: Die theoretisch proklamierte Gleichberechtigung von Mann und Frau blieb in der historischen Institution Bauhaus de facto ein uneingelöstes Versprechen. Zweiter Themenkomplex der Ausstellung sind die Bauhaus-Maximen der Massenproduktion und Technisierung sowie die gegenwärtige Neoliberalisierung und Selbstoptimierung von Individuum, Stadt und Umwelt als Ausgangspunkt für spekulative Zukunftsszenarien.
Frauen standen im Bauhaus stets im Schatten ihrer männlichen Meister. Eine von ihnen war Lilly Reich, Partnerin von Ludwig Mies van der Rohe. Ihre Ausstellungsarchitektur Café Samt und Seide für die Seidenmesse in Berlin 1927 dient für die Künstlerin und Kokuratorin Erika Hock als Ausgangspunkt für ihre Arbeit aus semitransparenten und permeablen Fäden, die gleichzeitig als Kunstwerk und als Gliederung des Ausstellungsraums funktioniert.
Wenn selbst die prominente Lilly Reich vom übermächtigen Mies van der Rohe überschattet wurde, verwundert es zunächst kaum, in der Ausstellung auf eine gänzlich unbekannte kroatische Architektin zu stoßen, deren Leben und Werk in der Architekturgeschichte nirgends auftaucht. In einem meisterhaften Verwirrspiel um die angeblich 1899 im mährischen Zlín geborene Petra Andrejova-Molnár, deren „Wiederentdeckung“ sich die Künstlerin Katarina Burin zum Thema eines laufenden Projekts macht, wird die Genderproblematik auf empathischer Weise verhandelt. Burin verwebt dabei die fiktionale Biografie Ihrer Kunstfigur glaubhaft mit tatsächlichen Gegebenheiten der Architekturgeschichte und macht diese zu einer entschlossenen Akteurin der Architekturszene der 1920er- und 1930er-Jahre: In der detailliert ausgearbeiteten Biografie studiert Andrejova als eine der ersten Frauen an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, wo sie von Josef Hoffmann und vor allem Adolf Loos beeinflusst wird. Ihren Doppelnamen erhält sie durch eine kurzlebige Ehe mit dem ungarischen Architekten Farkas Molnár, seines Zeichens Bauhausschüler, Mitarbeiter von Walter Gropius und Mitbegründer der ungarischen Sektion der CIAM. Bei Bohuslav Fuchs arbeitet sie an dessen Hotel Avion in Brünn (1927–29) mit und ist später im Büro des Prager Architekten Jaromír Krejcar tätig.
Burin weist in der Ausstellung das Hotel Nord-Sud als Hauptwerk von Petra Andrejova-Molnár aus, die stets mit ihren Initialen P.A. signierte. Das 1932–34 im kroatischen Küstenort Zadar errichtete Hotel, ein zweistöckiger Flachdachbau mit großzügiger Verglasung, ist dem Neuen Bauen verpflichtet. Mit dessen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg sei auch die Figur Andrejova-Molnár in Vergessenheit geraten.
Burin zeigt in der Ausstellung eine Vielzahl fiktiver Arbeiten von P.A. – Collagen, Zeichnungen, Pläne und Modelle – sowie Fotomontagen, die die P.A. mit real existierenden Architekten zeigen. Ein Ausstellungskatalog einer Petra Andrejova-Molnár angeblich gewidmeten Retrospektive, die 1976 in London stattfand, imitiert perfekt Kunstpublikationen der 1970er-Jahre. Kurzum: Die Arbeit steigert mit einem dichten Netz aus Werken und biografischen Daten die Fiktionalität zur glaubhaften Simulation.
Die im heutigen Slowenien geborene, in Kanada und den USA aufgewachsene Burin (*1975) bedient sich einer dem geschichtswissenschaftlichen Diskurs eigenen Methodik, mit der sie ihrer Fiktion verblüffende Plausibilität verleiht. Damit unterwandert Burin nicht nur geschickt eine Neutralität suggerierende wissenschaftliche Ästhetik, sondern schafft in ihrer Konsequenz (in allen Arbeiten gibt sich Burin als Autorin nicht zu erkennen) etwas, das man in Anlehnung an eine Idee von Boris Groys als „simulierte Architekturgeschichte“ bezeichnen kann. Die immense Arbeit der Künstlerin verschwindet gänzlich hinter dem Konstrukt ihrer eigenen Fiktion.