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Gegen die Düsseldorfer Deregulierung

Die „Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht“ vom Mai 2019 zielt auf sogenannte „schöne, lebensfähige“ Stadtquartiere und setzt dabei auf Deregulierung. Die Verfasser haben übersehen, dass dies das Gemeinwohl und die Vielfalt unserer Städte unterwandert, und dass der Rückgang kommunaler Steuerung am Ende einen Qualitätsverlust unserer Stadtquartiere zur Folge haben würde: Ein Widerspruch.

50 Professorinnen und Professoren der Architektur, der Stadt- und Regionalplanung, der Stadt- und Architekturtheorie, der Freiraumplanung, der Architektursoziologie, des Planungsrechts und des Städtebaus widersprechen und appellieren an die Entscheidungsträger von Bund, Ländern und Kommunen, die Düsseldorfer Erklärung kritisch zu hinterfragen:

Wir appellieren an die Entscheidungsträger von Bund, Ländern und Kommunen, die Düsseldorfer Erklärung kritisch zu hinterfragen:

1. Die Forderungen zur Reform der Baunutzungsverordnung bilden die schwierige Lage einiger weniger Großstädte unter Wachstumsdruck ab. Dabei wird ausgeblendet, dass das Planungsrecht für alle Städte, also auch für Städte mit stagnierender oder zurückgehender Bevölkerung, wie auch für ländliche Räume in ganz Deutschland gelten - und deren ausgewogene Entwicklung sicherstellen muss.

2. Die Forderung nach Abschaffung von Dichteobergrenzen ist ein Aufruf zu Deregulierung und befeuert damit die aktuelle Bodenspekulation – dies in einer Situation, in der wir mehr denn je Steuerungsinstrumente benötigen, um die aus den Fugen geratenen Boden- und Wohnungsmärkte zu beruhigen.

3. Die Leipzig Charta wird einseitig und ideologisch ausgelegt, um eine bestimmte Städtebau-Typologie zu forcieren. Dies steht im Widerspruch zur Leipzig Charta, die einen Hauptfokus auf benachteiligte Stadtquartiere im gesamtstädtischen Kontext legt.

4. Mit der Reduzierung städtebaulicher Qualitäten auf einen traditionellen, an der Gründerzeit orientierten Stadttypus werden andere gewachsene Bestandsquartiere entwertet und die Menschen, die in ihnen leben, ausgegrenzt. Dies entzweit unsere Stadtgesellschaften.

Wir widersprechen der Düsseldorfer Erklärung in ihren Grundzügen und fordern stattdessen:

Keine weitere Deregulierung!

Eine Hauptforderung der Düsseldorfer Erklärung besteht in der Abschaffung der Dichteobergrenzen, die in §17 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) festgesetzt sind. Diese Deregulierung der Dichte hätte enorme immobilienwirtschaftliche Konsequenzen. Bodenspekulation und Bodenpreise würden unmittelbar und noch stärker ansteigen als bisher, und den Kommunen würde gleichzeitig eine wesentliche Verhandlungsgrundlage entzogen. Folglich würden Grundeigentümer mit leistungslosen Gewinnen belohnt, während die öffentliche Hand allein die Kosten für die Anpassung von Infrastruktur und Wohnfolgeeinrichtungen aufbringen müsste. Die Aufhebung städtebaulicher Dichtegrenzen – ohne Anpassung des bodenpolitischen Instrumentariums – käme damit einer weitgehenden Deregulierung des Bodenmarktes und dem Verlust kommunaler Steuerung gleich.

Eine Baunutzungsverordnung für das ganze Land und alle Städte!

Die Düsseldorfer Erklärung ist eine Großstadtstrategie. Sie spiegelt die Sichtweise und Problemlagen von einigen wenigen Großstädten unter Wachstumsdruck wider und vergisst dabei, dass das Planungsrecht überall in Deutschland gelten und also auch die Bedürfnisse von Vororten, Kleinstädten und ländlichen Räumen abbilden muss. Das Planungsrecht muss wertneutral für alle Strukturräume und Bautypologien gelten, und es muss dabei auch den unterschiedlichen Lebensentwürfen und Wohnbedürfnissen der Menschen gerecht werden. Eine fachliche Überprüfung der Düsseldorfer Erklärung zeigt zudem, dass zahlreiche Forderungen im Rahmen der derzeitigen BauNVO bereits erfüllt sind.

Keine Instrumentalisierung der Leipzig Charta!

Die Leipzig Charta für die nachhaltige europäische Stadt verfolgt eine Sektoren übergreifende und sozial integrierte Stadtentwicklung mit einem Fokus auf benachteiligte Stadtquartiere im gesamtstädtischen Kontext. Sie ist damit ein Plädoyer für die Vielgestaltigkeit unserer Städte und wendet sich explizit gegen die Ausgrenzung einzelner Stadtquartiere oder Stadtbautypologien - im Gegensatz zur Düsseldorfer Erklärung, die nur Qualitäten in bestimmten, am traditionellen Städtebau der Gründerzeit orientierten Quartieren sieht. Die Düsseldorfer Erklärung legt die Leipzig Charta damit bewusst falsch aus, und versucht ihre Ziele mit Scheinargumenten zu legitimieren.

Gegen einen dogmatischen, historisierenden Städtebau!

Die Düsseldorfer Erklärung ruft eine traditionelle, „schöne“ Retortenstadt aus, die es in dieser Reinform nie gegeben hat, und die auf zukünftige Herausforderungen für eine soziale und funktionale Mischung keine Lösungen bietet. Sie negiert und behindert mit diesem einseitigen Blick in die Vergangenheit alle Forschungsansätze für ein zeitgemäßes städtebauliches Repertoire. In Zukunft wird – im Gegensatz zu dem vornehmlich auf formalen Aspekten beruhenden, historisierenden Städtebau – die Auseinandersetzung mit wandelbaren hybriden Gebäuden und Strukturen für die produktive Stadt an Bedeutung gewinnen. An vielen Hochschulen ist dies bereits Gegenstand einer forschenden Lehre im Sinne einer sozial- und nutzungsdurchmischten Stadt der Zukunft.

Für eine umfassende Baukultur!

In der Leipzig Charta wird Baukultur in einem umfassenden Sinne definiert, als Gesamtheit aller die Qualität des Planens und Bauens beeinflussenden kulturel­len, ökonomischen, technischen, sozialen und ökologischen Aspekte. Ganz im Gegenteil zur Düsseldorfer Erklärung, die Baukultur auf bauliche Themen reduziert, diese mit einem dogmatischen Städtebau koppelt und behauptet, dies stünde im Einklang mit der Leipzig Charta. Für die Stärkung des Bewusstseins der vielfältigen Aspekte, die den Prozess des Planens und Bauens und dessen Qualität bedingen, wurde eigens die Bundesstiftung Baukultur gegründet. Wir sind entschieden gegen die eingeengte Definition von Baukultur der Düsseldorfer Erklärung.

Zusammenfassung

Die Düsseldorfer Erklärung des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst zielt vor allem auf eine Reform der Baunutzungsverordnung (BauNVO), der wir in der vorgeschlagenen Form kritisch gegenüberstehen. Sie verbindet diese Reform mit einem dogmatischen, historisierenden Städtebau, den wir in der vorgetragenen Ausschließlichkeit ablehnen. Und sie begründet diese Haltung mit einer einseitigen Auslegung der Leipzig Charta für die nachhaltige europäische Stadt. Wir widersprechen diesem Papier entschieden, in dem es Tendenzen zu Populismus gibt und das zur Deregulierung aufruft!

Gleichwohl sehen auch wir Bedarf für eine Reform des Planungsrechts – insbesondere des bodenpolitischen Instrumentariums – und in einigen wenigen Teilen auch der Baunutzungsverordnung. Dies muss allerdings im Zusammenhang geschehen und nicht mit einem Handstreich zur Abschaffung der Dichteobergrenzen: Die Debatte ist eröffnet!

INITIATIVE

Prof. Dr. Sabine Baumgart , Professorin em. für Stadt- und Regionalplanung, TU Dortmund

Prof. Dr. Detlef Kurth, Professor für Stadtplanung, TU Kaiserslautern

Hon.-Prof. Martin zur Nedden, Institutsleiter des DIFU a.D. und Professor für Stadtentwicklung und Regionalplanung, HTWK Leipzig

Prof. Christa Reicher, Leiterin des Instituts für Städtebau und europäische Urbanistik und , Professorin für Städtebau und Entwerfen, RWTH Aachen University

Prof. Stefan Rettich, Professor für Städtebau, Universität Kassel

Hon.-Prof. Dr. e.h. Christiane Thalgott, Stadtbaurätin München a.D. und Professorin für Strategie und Umsetzung in der städtebaulichen Planung, TU München

Prof. Yasemin Utku, Professorin für Städtebau und Planungspraxis, TH Köln

WEITERE UNTERZEICHNER*INNEN

RWTH AACHEN

Prof. Dr. Frank Lohrberg , Professor für Landschaftsarchitektur, RWTH Aachen

Prof. Dr. Carola S. Neugebauer, Professorin für kulturelles Erbe, RWTH Aachen

FH AACHEN

Prof. Stefan Werrer, Lehrgebiet Städtebau, FH Aachen  

Prof. Annelie Klasen-Habeney , Lehrgebiet Städtebau, FH Aachen  

TU BERLIN

Prof. Dr. Angela Million, Professorin für Städtebau und Siedlungswesen, TU Berlin

Prof. Dr. Philipp Misselwitz, Professor für Städtebau und Internationale Urbanistik, TU Berlin

Prof. Dr. Mitschang, Professor für Orts-, Regional- und Landesplanung, TU Berlin

Prof. Elke Pahl-Weber, Professorin für Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten, TU Berlin

UDK BERLIN

Prof. Markus Bader, Professor für Entwerfen und Gebäudeplanung, UdK Berlin

HS BIBERACH

Prof. Ute Meyer, Professorin für Städtebau und Entwurf, Hochschule Biberach

HS BOCHUM

Prof. Ulrike Beuter , Professorin em. für Landschaftsarchitektur, Hochschule Bochum

HS BREMEN

Prof. Dr. Eberhard Syring, Professor für Baugeschichte und Architekturtheorie, Hochschule Bremen

Prof. Dr. Christian von Wissel, Professor für Stadttheorie, Hochschule Bremen

BTU COTTBUS

Prof. Inken Baller, Professorin em. für Entwerfen und Bauen im Bestand, BTU Cottbus

TU DARMSTADT

Prof. Dr. Nina Gribat, Professorin für Entwerfen und Städtebau, TU Darmstadt

Prof. Tom Sieverts, Professor em. für Städtebau und Siedlungswesen, TU Darmstadt

FH DORTMUND

Prof. Christian Moczala , Professor für städtebauliches Entwerfen, FH Dortmund

TU DRESDEN

Prof. Melanie Humann, Professorin für Urbanismus und Entwerfen, TU Dresden

UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN

Prof. Dr.-Ing. M. Arch J. Alexander Schmidt , Professor em. für Stadtplanung und Städtebau, Universität Duisburg-Essen

HS ERFURT

Prof. Dr. habil. Nicolai Roskamm, Professor für Planungstheorie, Stadtbaugeschichte und nachhaltiger Städtebau

Prof. Dr. Heidi Sinnig, Professorin für Stadtplanung und Kommunikation, Fachhochschule Erfurt

Prof. Dr. Reinold Zemke, Professor für Planungsrecht und Projektentwicklung, Fachhochschule Erfurt

FH FRANKFURT

Prof. Dr. Maren Harnack, Professorin für Städtebau und Entwerfen, Frankfurt University of Applied Sciences

Prof. Dr. Michael Peterek, Professor für Städtebau und Entwerfen, Frankfurt University of Applied Sciences

HCU HAMBURG

Prof. Dr. Jörg Knieling, Professor für Stadtplanung und Regionalentwicklung, HafenCity Universität Hamburg

LU HANNOVER

Prof. Tim Rieniets, Professor für Stadt- und Raumentwicklung, Leibniz Universität Hannover

Prof. Dr. Hille von Seggern, Professorin em. für Freiraumplanung, Entwerfen und städtische Entwicklung, Leibniz Universität Hannover

TU KAISERSLAUTERN

Prof. Dr. Holger Schmidt, Professor für Stadtumbau und Ortserneuerung, TU Kaiserslautern

UNI KASSEL

Prof. Christel Drey, Professorin em. für Städtebau, Universität Kassel

Prof. Philipp Oswalt

Professor für Architekturtheorie und Entwerfen, Universität Kassel

Prof. Ariane Röntz , Professorin für Landschaftsarchitektur I Entwurf, Universität Kassel

FH MÜNSTER

Prof. Joachim Schultz-Granberg, Professor für Städtebau, FH Münster

HS OSNABRÜCK

Prof. Dr. Johanna Schoppengerd , Professorin für Stadtplanung und Planungsrecht, Hochschule Osnabrück

TH Ostwestfalen-Lippe

Prof. Martin Hölscher , Professor für Städtebau, Stadt- und Regionalentwicklung, TH OWL

Prof. Kathrin Volk , Professorin für Landschaftsarchitektur und Entwerfen, TH OWL

UNI SIEGEN 

Prof. Dr. Thorsten Erl , Professor für Städtebau, Universität Siegen

Prof. Dr. Hilde Schröteler-von Brandt , Professorin für Städtebau, Universität Siegen

HFT STUTTGART

Prof. Dr. Christina Simon-Philipp, Professorin für Städtebau und Stadtplanung, Hochschule für Technik Stuttgart

UNI STUTTGART

Prof. Dr. habil. Christine Hannemann, Professur für Architektur- und Wohnsoziologie, Universität Stuttgart

BU WEIMAR

Prof. Dr. Barbara Schöning, Professorin für Stadtplanung, Bauhaus Universität Weimar

TU WIEN

Prof. Rudolf Scheuvens, Professor für Örtliche Raumplanung und Stadtentwicklungsplanung, TU Wien

HS WIESBADEN

Prof. Volker Kleinekort, Professor für Städtebau, Hochschule Wiesbaden

BU WUPPERTAL

Prof. Klaus Overmeyer, Professor für Landschaftsarchitektur, Bergische Universität Wuppertal

Prof. Dr. Tanja Siems , Professorin für Städtebau und Leiterin des Institut für Umweltgestaltung, Bergische Universität Wuppertal