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ARCH+ wünscht schöne Feiertage und einen frischen Start in die neuen Zwanziger

Liebe Leserinnen und Leser,

was für ein Jahr, was für ein Jahrzehnt. Die Folgen der neoliberalen Entpolitisierung der letzten Jahrzehnte werden weltweit sichtbar: eine inhaltlich entkernte Linke, die ums Überleben kämpft, und eine wiedererstarkte extreme Rechte, deren autoritäre und rassistische Vorstellungen die Mitte der Gesellschaft infiziert haben. Nicht zufällig macht sie dabei Gebrauch von den digitalen Infrastrukturen, die durchtränkt sind von den entpolitisierten libertären Ideologien des Silicon Valley. Ebenfalls nicht zufällig, dass wir uns in diesem Jahr in unterschiedlicher Weise mit den Folgen der Digitalisierung und des Rechtsrucks beschäftigt haben.

Insbesondere das Heft zu „Rechten Räumen“, das wir in Zusammenarbeit mit dem IGmA der Universtität Stuttgart herausgegeben haben, hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Reaktionen haben vor Augen geführt, dass man es vollkommen verlernt hat, Architektur politisch zu denken. Tages- wie Fachpresse haben eher auf Reizbegriffe reagiert als die Auseinandersetzung mit den Beiträgen gesucht. Verständnis kam überwiegend von Theatern, Museen und Kulturinstitutionen, also jenen Bereichen, die bereits von den neuen alten Rechten kulturpolitisch unter Druck gesetzt werden und die die politische Realität im Jahre 2019 tagtäglich erleben.

Es hat sehr lange gebraucht, bis sich Medien und Politik die Mühe gemacht haben, die Beiträge zu lesen und sich tatsächlich mit den Inhalten des Heftes auseinanderzusetzen. In der Politik hat es dazu geführt, dass ein Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin Charlottenburg-Wilmerdorf eingebracht wurde, mit dem Ziel, das von Hans Kollhoff auf dem Walter-Benjamin-Platz angebrachte Zitat aus Ezra Pounds antisemitisch konnotierten „Canto 45“ zu entfernen.

Und es hat bis diese Woche gebraucht, bis ein Journalist sich die Mühe gemacht hat, den Beitrag von Verena Hartbaum in „Rechte Räume“ zu lesen und ausgerechnet in der Welt, die uns wegen des Heftes mehrfach angegriffen hatte, zu dem Schluss zu kommen: „Doch, es gibt antisemitische Architektur“. So lautete ein Artikel von Alan Posener, der noch kurz zuvor in einem weiteren Welt-Artikel in der gleichen oberflächlichen Manier wie die meisten Journalistenbeiträge in der Debatte das Heft angegriffen hatte. Nach der gründlichen Lektüre scheint er jedoch zu einem anderen Schluss gekommen zu sein und schrieb am 18.12.2019:

„Das Gedicht, aus dem der Vers entnommen wurde, ‚Canto 45‘, bescheinigt den Juden Mordwillen – ‚Usura metzt das Kind im Mutterleib‘ – und Kulturfeindschaft: ‚Man brachte Huren nach Eleusis hin / Und setzte Leichen zum Gelag / Auf Geheiß von Usura.‘ Ob irgendein Vers aus diesem Gedicht auf irgendeinem Platz in Deutschland stehen sollte, darf man bezweifeln. Ganz gewiss sollte das Gedicht keinen Platz verunzieren, der nach dem jüdischen Schriftsteller Walter Benjamin benannt ist, den die deutschen Nationalsozialisten zuerst ins Exil und dann in den Tod jagten. Kollhoff aber hat damit kein Problem. Als ihn die Architekturkritikerin Verena Hartbaum nach den Pound-Zeilen fragte, antwortete er, wie sie in der Zeitschrift ARCH+ berichtet: „Das ist ja das Schöne an der Konfrontation von Walter Benjamin und Ezra Pound, die ja persönlich nicht stattgefunden hat, dass man daran hypothetische Behauptungen knüpfen kann, die nicht selten ein grelles Licht werfen auf die fatale Geschichte des vergangenen Jahrhunderts.“ Ähm, nein. Die Konfrontation ist nicht ‚schön‘. Und die Behauptung, ‚Usura‘ – und nicht der Totalitarismus, dem Pound zu Füßen lag – sei der Feind der Kultur, ist keine ‚hypothetische‘, sondern eine Lüge, die in der Tat ‚fatale‘ Konsequenzen hatte.”

Hinter dieser Analyse kann die Auseinandersetzung um den Walter-Benjamin-Platz nicht mehr zurückfallen. Und klar ist auch, dass die Architekturkritik sich nicht mehr in die Komfortzone des Apolitischen zurückziehen kann. Für diese Arbeit waren wir und die Gastreaktion um Stephan Trüby starker Kritik ausgesetzt, bis hin zu Einschüchterungsversuchen der Rechten und Boykott-Drohungen gegen unsere Förderer. Wir haben aber auch sehr viel Solidarität und Ermutigung erhalten. Dafür möchten wir uns bei allen bedanken, die uns begleitet haben und in schwieriger Zeit beigestanden sind.

Dies zeigte sich auch bei der Würdigung der Jahrzehnte langen Arbeit von Nikolaus Kuhnert, der anlässlich seines 80. Geburtstags in diesem Jahr seine Autobiografie vorgelegt hat. Viele haben dankenswerterweise dazu beigetragen, dass seine Lebenserinnerungen erscheinen konnten. Die berührenden Einblicke in Nikolaus Kuhnerts Leben umfassen sein Überleben des Nationalsozialismus als Kind einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters, seine Politisierung in der Studentenbewegung sowie seine Analyse der konservativen Wende des Architektur- und Stadtdiskurses in Deutschland, die mit der neoliberalen Wende einherging. So schließt das Heft von Nikolaus Kuhnert unmittelbar an die Debatte zu „Rechten Räumen“ an. Entsprechend haben wir auch die Reaktionen auf das Rechte-Räume-Heft der Ausgabe beigelegt.

Geprägt war das Jahr auch von unserer Ausstellung „1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin“, die wir in Kooperation mit dem Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) durchgeführt haben. Auch hier war die Medienresonanz groß und hat uns darin bestärkt, den Raumdiskurs politisch zu führen. Die Ergebnisse der Rechercheausstellung waren erschütternd und erkenntnisreich. Wir werden die Themen im nächsten Jahr in einer Ausgabe vertieft behandeln.

Für Ihre Unterstützung und Begleitung in diesem Jahr, sei es als Abonnent*innen, Autor*innen, Kooperationspartner*innen oder Förder*innen, danken wir Ihnen sehr herzlich. Erst Ihre Treue als Leser*innen oder aktiv Mitwirkende macht die ARCH+ zu der Zeitschrift, die sie ist: unabhängig, kritisch, gemeinnützig.

Und in der Tat haben wir das erste Jahr mit der gemeinnützigen Struktur und am neuen Standort gut überstanden. Bitte unterstützen Sie uns weiterhin bei unserem Bemühen, einer kritisch aufgeklärten Gesellschaft einen informierten öffentlichen Diskurs über die gesellschaftspolitische Dimension der Raumproduktion zu bieten.

Ihnen allen wünsche ich in Namen des gesamten ARCH+ Teams schöne Feiertage und einen frischen Start in die neuen Zwanziger!

Ihr
Anh-Linh Ngo
Chefredakteur und Mitherausgeber