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Empfehlung

Wie Leere und Gegend zusammenhängen

Werkschau von „Sanaa“ in Berlin //

Text: Christian J. Grothaus //

Noch bis zum 20. Januar 2011 ist im Berliner Architekturforum Aedes eine Werkschau der diesjährigen Pritzker-Preis-Träger Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa zu sehen. (Mehr zum Pritzker-Preis)
 

Die Ausstellung zeigt Projektmodelle aus dem Hause „Sanaa“, welche die Fotos des Bozeners Walter Niedermayr fruchtbar ergänzen. Hier wirkt sich die mittlerweile schon ein Jahrzehnt währende Zusammenarbeit mit dem Fotografen positiv aus. So wird z.B. erst durch die Bilderserie zum „Inujima Art-House Project“ der Kontext der „Kunstinsel“ deutlich, für die die vorgestellten Häuser und Installationen konzipiert sind. Aber davon am Ende mehr.

„Architekten können Architektur nicht ausstellen“. Das ist ein Zitat von Kazuyo Sejima, die auch die diesjährige Architekturbiennale in Venedig kuratierte. Diese zeichnete sich dadurch aus, dass der Ort selbst das Ausgestellte war. Zugegeben, ein hoher Anspruch, der sich nicht immer einlösen lässt. Tatsächlich kommt dem Besucher bei „Aedes“ die Assoziation vom „weißen Adler auf weißem Grund“ in den Sinn, denn präsentiert werden weiße Modelle in einer weißen Halle. Mit einer Farbe, die eigentlich keine ist, haben wir allerdings einen ersten Zugang zum Denken des Architektenduos.

„Weiß als solches gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Empfänglichkeit dafür, weiß zu empfinden …“ Damit leitet Kenya Hara das erste Kapitel seines Buches „Weiß“ ein. Nicht umsonst also verbinden die Japaner mit „Weiß“ auch die Leere und verbinden damit das, was erst alles Erscheinende möglich macht. Man sollte sich also nicht damit begnügen, in „objekt-subjekt-gespalteter“ Manier der Abendländer Dinge zu betrachten. Das Nehmen im „Wahr-nehmen“ sollte in dieser Ausstellung wörtlich aufgefasst und versucht werden.

Statt den üblichen Ost-West-Antagonismus aufzubauen, reicht ein kleiner Ausflug in den deutschen Idealismus zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ um zu zeigen, dass auch in der jüngeren europäischen Ideengeschichte die Leere in Verbindung mit dem Werden steht. Nach Hegel ist das Sein, das Nichts und das Werden ineinander verschränkt. Auch der späte Heidegger zeigt in seinen Versuchen zur Überwindung der westlichen Erbkrankheit „Metaphysik“ die Nähe zum japanischen Denken. Im Aufsatz „Die Kunst und der Raum“ scheint er die Hegelsche Trias von „Sein, Nichts und Werden“ aufzunehmen, indem er in Abgrenzung zum physikalisch-technischen Raum bemerkt: „Unentschieden bleibt, auf welche Weise der Raum ist und ob ihm überhaupt ein Sein zugesprochen werden kann“.

Die Arbeiten von „Sanaa“ sind von einem roten Faden durchzogen, der sich in den Themen „fließende Räume, Wirkung von Licht, Spiel von Transparenz und Materialität“ zeigt. Das Entscheidende dabei ist, dass die Architektur zu einer Art Medium wird, durch das die Menschen in der Welt sind. Es geht also um Kommunikation und Interaktion von Mensch zu Mensch, zu Ding und zu Ort – in der elementarsten Weise.

Auch hier bietet sich ein Verweis auf Heidegger an, für den Raum von „räumen“ kommt, das heißt, Zulassen und Einrichten von Dingen in ihrem Gebrauch. Das Räumen macht zu allererst den Ort möglich, denn er „öffnet jeweils eine Gegend, indem er die Dinge auf das Zusammengehören in ihr versammelt“. Architektur schafft also im ursprünglichsten Sinne „Möglichkeit zum …“ und bedeutet beileibe mehr als ein bloßer Akt von gebautem Ästhetizismus. Diese mediale Verfassung von Architektur kann auch in den Arbeiten von „Sanaa“ abgelesen werden, denn hier wird Bauen in dynamischen Wirkungsfeldern verstanden.

Nehmen wir z.B. das eingangs schon erwähnte Inujima Art-House Project, das mit vier Modellen in der Ausstellung vertreten ist. Die weißen Exponate aus der Vogelperspektive erschließen sich nicht sofort. Erst mit Blick auf die Bilderserie von Walter Niedermayr wird deutlich, dass es um Möglichkeitskonstellationen geht.

Im „Katalog“ steht zu lesen: „Inujima ist eine winzige, von nur 50 Familien bewohnte Insel im Seto-Inlandsee. Das Art-House Projekt hat sich zur Aufgabe gestellt, diesen nahezu entvölkerten Flecken in ein “Museum” zu verwandeln (…) In ihrer Gesamtheit betrachtet, erwächst aus den Art-Houses eine neue Landschaft“. Die entworfenen Häuser und Objekte verwandeln das Dorf tatsächlich, denn sie lassen etwas zu, lassen zu, dass sich Neues oder Anderes zeigen kann. Sie machen auf diese Weise nicht nur Landschaft, sondern auch „Gegend“ möglich.