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ARCH+ 169/170: Architekturen des Schaums
ARCH+ news

Peter Sloterdijk über "Wie würde die Natur Städte bauen?"

Vortrag im DAZ Taut Saal,
01. März 2011, 19.00 Uhr.
Köpenicker Str. 48/49,
10179 Berlin-Mitte,
Eintritt frei.

Wie würde die Natur Städte bauen, wenn sie Städte wachsen ließe?" und "Wie muss der Mensch Städte bauen, wenn er sich als Delegierter der Natur versteht?"

Diesen Fragen wird Peter Sloterdijk in seinem Vortrag im Rahmen der DAZ-Vortragsreihe VISIONEN UND VISIONÄRE nachgehen. Um Anmeldung an mail@daz.de wird gebeten.

Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen werfen die komplexe Frage auf, wie wir in Zukunft leben wollen. Für die zukünftigen Anforderungen an eine lebenswerte Umwelt brauchen wir visionäre, interdisziplinäre Lösungsansätze. Die DAZ-Vortragsreihe VISIONEN UND VISIONÄRE bringt daher Protagonisten verschiedenster Disziplinen zusammen, deren Ideen und Visionen nachhaltig Inspiration für eine zukunftsfähige Architektur und Stadtplanung bieten.

Schon in ARCH+ 94: “Oikos Stadt” – Nachdenken über Ökologie von 1988 setzte er sich mit Wasser, Energie, Verkehr, Müll auseinander. Zur Energie schrieb er damals:

Also, so einfach ist das mit der Energie nicht, leider. Da gilt es drei Gesichter zu betrachten: Das erste hat strenge Züge und ist etwas eingefallen. Die Kraft, die das tägliche Leben kostet, macht es herb. Es ist kein häßliches Gesicht, es ist nur - genau wie die Hände - von der Arbeit gezeichnet. So verblaßt auch der romantische Glanz vergangener Zeiten, als die Welt noch heil und natürlich schien, recht schnell, wenn nicht der Kopf sich zurückträumt, sondern die Hände denken. Das zweite Gesicht der Energie ist wohlgenährt, um nicht zu sagen feist. Sein Anblick löst leicht Erschrecken aus, da die Konturen in der Größe verschwinden. Es ist das Gesicht eines Giganten. Nicht daß dieser Gigant bösartig wäre, es ist ein dienstbarer Geist und seine unermeßliche Kraft steht dem Menschen zur Verfügung. Er kann Berge versetzen und Täler zuschütten. Was der Mensch mit seiner Hilfe vermag, grenzt ans Wunderbare.

Die geballte Energie dieses Giganten macht den Menschen selber groß und seine Pläne hochfahrend. Es gibt nur ein kleines Problem: Wer soll die Wirkung der Kraft dieses Giganten abschätzen, wo ihn doch keiner zur Gänze erblikken kann - und dieser dienstbare Geist ist nicht faul. Er will und muß beschäftigt werden. Ob seine überschüssige Kraft dafür eingesetzt wird, etwas aufzubauen oder etwas zu zerstören, ist ihm gleich. Das dritte Gesicht der Energie läßt sich nicht so scharf ausmachen, da der Schleier der Zukunft es noch bedeckt. Aber die Energie, die den Menschen nicht überwältigt, trüge ein Antlitz voll Freundlichkeit. Güte und Weisheit. Freundlichkeit und Güte, wegen ihrer zauherhaften Eigenschaft selbständig als getane Arbeit zu existieren, die jederzeit abgerufen werden kann und Weisheit, da es keinen inneren Zwang zum Schneller, Höher und Weiter gäbe, der zu nicht mehr revidierbaren Entscheidungen führt. Aber, daß sich keiner Illusionen mache! Einfache und schnelle Lösungen des Problems gibt es nicht, sondern nur den Weg über den Grat. Denn der dienstbare Geist Energie ist verführerisch. Mit jeder Aufgabe, die man ihm überträgt, wächst er und bläht sich auf. Es will wohl bedacht sein, ob er zu Unnützem und Überflüssigem mißbraucht wird.

In ARCH+ 169/170: Architekturen des Schaums führten wir ein ausfürliches Gespräch über Architekten, Architekturen und Schäume. Zum Zusammenhang von Natur, Kultur, Mensch und Architektur schreibt er hier beispielsweise:

Was wohnen bedeutet, wird in meinem Buch in einem längeren Vorspann zu dem hier abgedruckten Kapitel entwickelt. Dort beschreibe ich schrittweise das Explizitwerden der verschiedenen Dimensionen des Hausens. Man muß verstehen, daß Häuser zunächst einmal Maschinen zum Totschlagen von Zeit sind – eine etwas kuriose Theorie, zugegebenermaßen. Tatsächlich wartet man in einem primitiven Bauernhaus auf ein stilles Ereignis draußen auf den Feldern, das man nicht beeinflussen kann, das aber Gott sei Dank regelmäßig kommt. Man wartet auf den Moment, in dem die angebauten Früchte zur Reife gelangen. In einem Haus lebt man also zunächst nur darum, weil man sich zu der Überzeugung bekennt, daß es sich lohnt, auf ein Ereignis außerhalb des Hauses zu warten. In der agrarischen Welt muß die Zeitstruktur des Wohnens in Häusern vom Wartezwang her verstanden werden. Diese Art von Im-Haus-Sein ist erst im Laufe des Mittelalters in Frage gestellt worden, als in Nordwesteuropa wieder eine umfangreichere Stadtkultur begonnen hat. Seither werden wachsende Anteile der europäischen Populationen in eine Kultur der Ungeduld oder des Nichtwarten- Könnens integriert. Zu Goethes Zeit sind in Deutschland erst 20% verstädtert, 80% leben noch unter den alten agrarischen Bedingungen. Heidegger, den ich in diesem Zusammenhang als den letzten wirklichen Denker des bäuerlichen Lebens sehen möchte, begreift die existentielle Zeit weiterhin als Wartezeit und daher auch als Langeweile. Das Ereignis, auf das dieses Warten hinführt, ist naturgemäß etwas abgründig Einfaches: daß die Dinge auf dem Acker des Werdens reif werden. Der Philosoph setzt diesen Acker mit der Weltgeschichte gleich, ohne zu bedenken, daß die Welt der Städte nicht mehr ackerförmig sein kann. In der Stadt reifen die Dinge nicht, sie werden produziert.

Alle seine Artikel, die er bei ARCH+ veröffentlichte, finden sich hier.