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ARCH+ 201/202: sneak preview

Die Zeit und der Raum sind untrennbar verbunden, der Mensch und die Bewegung auch. Neuerdings wird die Kombination all dessen Migration genannt. Wir haben dieses Phänomen für Berlin auf einer Zeitleiste festgehalten.

Berlin kann ein für diese Stadt spezifisches atmosphärisches Potenzial nutzen: die Offenheit aller seiner Strukturen auf der institutionellen, kulturellen, mentalen – und vor allem auch stadträumlichen Ebene. Sie erklärt sich historisch aus dem radikalen Zusammenbruch und beinhaltet doch zugleich eine unabweisbare Gestaltbarkeit. Das ist die konkrete Attraktion für Menschen aus aller Welt, die mehr Ideen im Kopf als Geld in der Tasche haben und völlig Neuem zum Durchbruch verhelfen wollen – ohne einengende Codes oder Konventionen manch anderer großer Städte, die satt sind, während Berlin hungrig ist – und sich, wieder einmal, neu erfinden muss. Ein Zuzug – vor allem junger – Kreativer von ca. 50.000 im Jahr ist international ohne Vergleich: Sie setzen die Stadt neuartig wieder in Wert. Diese Offenheit für eine Stadt von morgen strukturell zu verstetigen (statt als solche zu konservieren), ist die große Herausforderung für Berlin – mit allen Elementen einer Modell-Stadt, wie es Berlin öfters schon war. Auf stadträumlicher Ebene ist das eher eine Frage von akzeptierten Interventionen und Zwischennutzungen statt flächendeckender Bauleitplanung. Bei der Offenheit für Fremde(s) kann die Stadt auch anknüpfen an ihre historische Integrationsleistung, angefangen beim Potsdamer Toleranz-Edikt (von 1685) bis zum Geist der „1920er Jahre“. (Klaus Brake)

Die Prägung Berlins als Einwandererstadt (Migration: von latein. migratio „(Aus-)Wanderung, Umzug“) beginnt im 17. Jahrhundert:

Nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) ist Berlin verwüstet und sein Stadtschloss stark zerstört. Die Einwohnerzahl ist von 12.000 auf 7.500 geschrumpft. In Folge schnellen Wachstums und der Vereinigung der fünf „Staats-Städte“ um Berlin im Jahre 1709 verliert die Stadt ihren bisher vornehmlich ländlichen Charakter. Zuwanderer übernehmen dabei eine wichtige Rolle, da sie sich vor allem in das wirtschaftliche Leben der Stadt einbringen. Unterschieden werden sie nach der Herkunft bzw. ihrer Religionszugehörigkeit.

Dies ebt danach nie mehr nennenswert ab, heute stellt es sich im globalen Maßstab dar:

Etwa mit der Jahrtausendwende fängt die Entwicklung der wissensintensiven Software- und Life-Sciences-Branchen und der Kultur- und Medienindustrie an. Internationale Funktionseliten bilden eine neue Migrantengruppe in der aufstrebenden Hauptstadt, die der weiterhin großen Gruppe schlecht bezahlter Zuwanderer gegenübersteht. Berlin wird zur Global City in Hinsicht auf die Medien- und Kulturökonomie und vermarktet sich als Stadt des kreativen Potentials, die im internationalen Wettstreit mitspielt. Während hier internationale Zuwanderung gewünscht ist, nimmt die Debatte über die Integration der bereits vorhandenen Migranten an Brisanz zu.