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ARCH+ Filmabend: das Märkische Viertel

Anlässlich der Erscheinung von ARCH+ 203: Planung und Realität – Strategien im Umgang mit Großsiedlungen laden wir herzlich zu einem thematischen Filmabend ein, der sich mit damaligen und heutigen medialen Bildern vom Märkischen Viertel beschäftigen wird.

Mietersolidarität, von Max Willutzki, BRD 1970, 13 Minuten

Nun kann ich endlich glücklich und zufrieden leben, von Max Willutzki u.a., BRD 1970, 45 Minuten

Wo lang? Berlin, Märkisches Viertel, von Max Kerkhoff, D 2008, 44 Minuten

Mit einer Einführung des Filmkurators und Künstlers Florian Wüst zu Max Willutzki und der Situation in den 1970er Jahren, der Vorstellung der Jugend-Dokumentation von 2008 durch den Regisseurs Max Kerkhoff und einem abschliessenden Gespräch über das mediale und persönliche Bild der Großsiedlung Märkisches Viertel damals und heute.

Datum: Mittwoch, 24.08.2011, 20.00 Uhr
Ort: .HBC, Karl-Liebknecht-Str. 9, Berlin-Mitte

 
 
 
 
 
 
 
 

Wir freuen uns sehr, als Release-Veranstaltung des Heftes dieses besondere Format mit Florian Wüst umsetzen zu können. Das Märkische Viertel erfuhr im Rahmen der Berliner Studentenbewegung viel Aufmerksamkeit von Filmschaffenden, die anhand filmischer Mitteln den größeren, gesellschaftspolitischen Kontext analysieren wollten: 1969 gründeten einige wegen ihrer politischen Aktivitäten von der DFFB (Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin) ausgeschlossene Studenten im MV die Gruppe Basis-Film, um „Basisfilme“ mit und für die arbeitende Bevölkerung zu machen. Einmal im Monat wurden Gegenwochenschauen im MV veranstaltet.

Die beiden Kurzfilme von Max Willutzki werden durch Florian Wüst eingeführt. Max Willutzki lebte seit 1969 im MV und dokumentierte die Mietersolidariät und den Kampf um gerechte Mieten in auch von ihm als "Anti-Wochenschauen" oder "Kinogramme" bezeichneten Kurz- und Langformaten.

Das 13-minütige "Kinogramm" Mietersolidarität zeigt, wie es einer Bürgerinitiative gelingt, die Zwangsräumung einer Familie zu verhindern. Mutmaßlich hat auch die Anwesenheit von Kameras die Aktion unterstützt. Der 45-minütige Kurzspielfilm Nun kann ich endlich glücklich und zufrieden wohnen entstand in Zusammenarbeit mit  Christian Ziewer (Regie und Buch) und Klaus Wiese (Drehbuch) und erzählt von den Konflikten zwischen Arbeitern und mittelständischen Eltern im MV.

Die Dokumentation Wo lang? von 2008 begleitet den Sommer von Kevin und seinen Freunden. Kevin ist 19 und will Rapper werden. Da er jeden Sommer sturmfrei hat, finden die Freunde in seiner Wohnung den Raum, den sie im MV sonst nicht haben. Max Kerkhoff wird über die Arbeit zum Film berichten, von der "Weltreise" von der Berliner Innenstadt in das MV, von den Situationen vor Ort und der Resonanz der Bewohner.

Im Anschluss werden wir mit Florian Wüst und Max Kerkhoff u.a. über Fragen der Identifikation und Gemeinschaft, der stadträumlichen Situation und architektonischen Setzung diskutieren. Das MV wurde zwischen 1963 und 1974 im damaligen Westberlin als Vorzeigeprojekt für insgesamt 60.000 Bewohner errichtet. Heute wohnen 35.000 Bewohner in den Hochhauskomplexen mit bis zu 18 Stockwerken. Nach 45 Jahren leben immer noch 23 Prozent Erstmieter in der Siedlung, fast die Hälfte der Bewohner ist über 60 Jahre alt. Der Ausländeranteil liegt mit 8 Prozent deutlich unter dem Berliner Durchschnitt von 13 Prozent. Der schlechte Ruf des Märkischen Viertels reicht weit über Berlin hinaus, doch laut Statistik gibt es kaum Probleme mit Gewalt, Kriminalität oder Drogen.

Der Spiegel berichtete 1969:

"Jahr um Jahr errichten Deutschlands Architekten am Rand der Städte neue Massenquartiere – monoton gerasterte Hochhaustürme (wie in Stuttgart-Freiberg oder in Berlins "Märkischem Viertel"), unwirtliche Quadergebirge (wie in Wolfsburg-Detmerode oder Hamburg-Lohbrügge Nord), schäbige Wohnwürfel (wie in Nürnberg-Langwasser oder Gravenbruch bei Frankfurt), kahle Kasernengruppen (wie in Lübeck-Kücknitz oder in Bremens "Neuer Vahr").

Jahr für Jahr kleckern Bausparkassen-Architekten neue Eigenheime über die ausufernden Randzonen der Stadtlandschaften – wie in Weimar, einem Siedlungshügel vier Kilometer nördlich von Kassel, wo 450 zweistöckige Eigenheime in nicht zu überbietender Einfallslosigkeit wie Weihnachtsgebäck auf ein Kuchenblech gereiht wurden, oder wie in der schwäbischen Kleinstadt Aalen (Urteil des Fachblatts "Baumeister": "Eine Untat gegen Menschen und Landschaft, entwürdigend und vergeudet").

Jedes Jahr zerwühlen Planierraupen in der Bundesrepublik 260 Quadratkilometer Land für solche Siedlungen – das entspricht in zwei Jahren der Fläche des Bodensees, in 20 Jahren einem Areal so groß wie der Schwarzwald oder die Lüneburger Heide.

Hilflos artikulieren Stadtrandsiedler ihren Protest gegen die lähmende Monotonie der hastig aufgetürmten Satelliten-Städte, die – kaum fertiggestellt – zu Brutstätten von Langeweile, Krankheit und Kriminalität werden. Ein Jugendlicher im "Märkischen Viertel": "Entweder wirst du hier Spießer, oder du wirst kriminell."

ARCH+ hat sich immer wieder mit der so genannten Wohnungsfrage beschäftigt, so auch in ARCH+ 32 aus dem Jahre 1977.

Schon damals spielte der Film eine wichtige Rolle in der Rezeption der Großsiedlungen.