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ARCH+ 204 – ONLINE ZEITUNG: Die kritische Rekonstruktion als Leitbild

Eine kritische Rekonstruktion der „kritischen Rekonstruktion“

Von Sabine Kühnast

Die vollständige Ausgabe ARCH+ 204: Krise der Repräsentation finden Sie in unserem Archiv.

 

Stefanie Hennecke: Die kritische Rekonstruktion als Leitbild. Stadtentwicklungspolitik in Berlin zwischen 1991 und 1999; Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2010, ISBN 978-3-8300-4844-2

Die bauliche Neustrukturierung Berlins in der Nachwendezeit, auch subsumiert unter „Kritischer Rekonstruktion“ wird heute – 15 Jahre nach der Vorstellung des ersten Planwerks Innenstadt im November 1996 – meist in Hinblick auf architektonische und stadträumliche Veränderungen betrachtet. Die Studie von Stefanie Hennecke liefert jetzt eine umfassende Analyse des Planwerks als Verfahren der Stadtplanung und zeigt die ideologischen Hintergründe der Hauptprotagonisten Hans Stimmann und Dieter Hoffmann Axthelm auf – eine kritische Rekonstruktion der „kritischen Rekonstruktion“.

Das Planwerk Innenstadt wurde über mehrere Jahre ohne verwaltungsinterne Abstimmung und öffentliche Beteiligung erarbeitet und 1996 als ein fertiges, gesamtstädtisches Leitbild vorgestellt. Darauf folgten über zweieinhalb Jahre kontroverser Diskussionen, die durch die Verabschiedung des Planwerks als behördeninterne Planungsvorgabe im Mai 1999 abrupt abgebrochen wurden; die bis dahin erfolgten Änderungen waren nur Modifikationen in Teilbereichen.

Die Untersuchung setzt weit vor dem Zeitpunkt der Vorstellung des Planwerks im Jahr 1996 ein, und zeigt biographisch Hans Stimmanns und Dieter Hoffmann-Axthelms Politisierung durch die Erfahrung der Kahlschlagsanierung in den siebziger Jahren sowie die Herkunft der von Ihnen verwendeten Begriffe und Ideologien. Beide waren damals – aus der Liga der Modernekritik kommend – „handelnd als Linke aktiv“ (so der Anspruch Hoffmann-Axthelms). Dieser Rückblick ist wesentlich, um die Kernbegriffe wie „Stadtidentität“ und „Neues Stadtbürgertum“ und die vom entsprechenden Leitbild gesteuerte Stadtpolitik zu verstehen. Hennecke zufolge wird das Leitbild als Steuerungsinstrument der Stadtplanung weder partizipatorisch noch prozessual noch an reale ökonomische Bedingungen angebunden begriffen. Betrachtet man das Bildmaterial, mit denen das Planwerk die baulichen Absichten für Nicht-Planer verständlich macht, so scheint es, als würden die Begriffe Leitbild und Bild kongruent gesetzt. Die Bilder stellen einen Idealzustand der Stadt dar, für Berlin bedeutet dies: Die „Sünden“ der modernen Nachkriegsstadtplanung werden rückgängig gemacht zugunsten einer vermeintlich historischen Kontinuität, die es so nie gegeben hat. Die anfangs unterschiedlichen Positionen Stimmanns und Hoffmann-Axthelms münden in dem gemeinsamen Diktum des „dialogischen Stadtumbaus“: Der Umbauung der modernen Stadtplanung mit Fragmenten historischer Blockrandbebauung. Kritik daran kam von den Planern und Theoretikern, die mit den Konzepten der Planungen der Vorwendezeit vertraut waren, und die nicht nur die einzelnen Bauten sahen, sondern diese eingebettet in ein Gesamtkonzept mit Freiflächen.

Mit der Veröffentlichung des Planwerks „Innere Stadt“ gehen die Diskussionen um die Stadtplanungspolitik Berlins weiter. Zwar sollen jetzt „lokale Identitäten“ gestärkt werden und „lokale Akteure“ in die Planung eingebunden werden, eine explizite Abkehr vom Planwerk Innenstadt gibt es jedoch nicht.

Die bereits vorhandenen Publikationen zur Stadtentwicklungspolitik Berlins werden durch diese Studie insbesondere durch die Hinterfragung des Leitbilds als Methode, der detailreichen Rekonstruktion der Debatte im Abgeordnetenhaus und die Analyse der Durchsetzung des Leitbildes durch Stimmann und Hoffmann-Axthelm ergänzt. Dabei werden die Differenzen zwischen der öffentlich wahrgenommenen Fachdebatte und den Diskussionen zwischen Entscheidungsträgern deutlich.