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ARCH+ 204 – ONLINE ZEITUNG: Nur ein weiteres Regime?

Stephan Becker: Another Regime or, A Tale of Two Cites: Basel Munich 2089, Berlin: TUB Verlag, 2011, 205 Seiten, 118 Illustrationen, ISBN: 978-3-7983-2369-8

Elisa T. Bertuzzo

 

Die vollständige Ausgabe ARCH+ 204: Krise der Repräsentation finden Sie in unserem Archiv.

 

Ob sich „another“ als „anderes“ im Sinne einer Alternative, eines Auswegs verstehen lässt? Wie wäre das aber im Zusammenhang mit „Regime“ zu lesen – einem Begriff, dem man mindestens skeptisch gegenüberstehen muss? Bei dem einen oder anderen Soziologen mit Allergie gegen Utopien, aber Bewunderung für die Architekten, die sie schaffen, ruft das aus einem Diplomprojekt entstandene Buch von Stephan Becker zwiespältige Reaktionen hervor. Nicht nur die Lektüre des gut fließenden englischen Textes stellt für Architekten eine Herausforderung dar, sondern auch die beinahe jede Seite der Publikation schmückenden – oder überladenden – Illustrationen: spielerische Collagen, diagrammähnliche Darstellungen oder thematische Karten.

Dabei weist der Autor mit dem publizistisch klug beigefügten Untertitel, „A Tale of Two Cities“, auf die eigentliche Intention des Werks hin: Es geht um eine Erzählung, bei der schöpferischer Wert vor sozialwissenschaftlicher Sauberkeit geht.

Lässt man sich auf eine solche Interpretation ein, so kann man in diesem Buch eine knapp gehaltene, scharfe Diagnose des sich seit dem Fall der Mauer (das Zukunftsszenario wird bewusst hundert Jahre nach 1989 angesetzt) abzeichnenden Zustands der westlichen Stadt finden. Skizziert wird die endgültige Realisierung von heute erkennbare Tendenzen und ihren Begleiterscheinungen: Privatisierung, Fragmentierung, Mobilisierung, Virtualisierung gefolgt von Städtewettbewerb, Standortfaktor-Optimierung, Infragestellung nationalstaatlicher Grenzen. Die neue ökonomische Ordnung ist ein „kognitiver Kapitalismus“. Sie lässt sich dezidiert als negative Utopie bezeichnen: eine, an der Architekten mitmischen und mitarbeiten dürfen. Der Staat hat sich aufgelöst. Die Auftraggeber sind transnationale Konsortien für städtisches Management, für die die Planer Entwicklungskonzepte entworfen haben, die Segregation und Kontrolle von Produktion und Konsumption perfektionieren. Mit deren Hilfe haben sich die zwei untersuchten Stadtregionen, die Einzugsgebiete von Basel und München, im Jahr 2089 zu den 50 wichtigsten urbanen Agglomerationen der Welt entwickelt.

Lässt man sich auf die imaginative – und doch auf eine Menge statistisch-demografischer Berechnungen gestützte – Übung nicht ein, stellt sich allerdings die Frage, wozu so viel Mühe. Da ist eine grenzlose Verehrung für die Disziplin der Architektur, wie sie in besonders glücklichen Phasen betrieben wurde; spürbar ist eine gewisse Nähe des Buchs zu den Arbeiten von Archigram und vor allem Superstudio in den späten 60er und 70er Jahren. Abgesehen davon ist „Another Regime“ möglicherweise nur „ein weiteres Regime“, das die alt bekannte Verquickung von Architektur und Macht noch mal verdeutlicht. Dafür lohnte sich das Lesen in heutigen Zeiten nicht. Dennoch: Es lebe die Imagination, und hoffen wir, dass das Buch von mehr Architekten als Soziologen entdeckt wird.

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