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ARCH+ news

Arno Brandlhuber: Aktuelle Ausstellungen in Berlin

Im September ist der Berliner Architekt und Stadtforscher Arno Brandlhuber in mehreren Ausstellungen in Berlin zu sehen.


Am 1. September findet im HAUS DER KULTUREN DER WELT der Kongress

KULTURERBE DOPPELTES BERLIN

statt, initiiert von Arno Brandlhuber, Tobias Hönig und Christian Posthofen. Die Situation der ehemals geteilten Stadt Berlin mit ihren doppelten Institutionen je im West- und im Ostteil, die heute z.T. fortbestehen, ist weltweit einmalig. Die Initiatoren schlagen daher vor, das „Doppelte Berlin“ in das UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen.

Ebenfalls am 1. September eröffnet im HAUS DER KULTUREN DER WELT die Ausstellung

BETWEEN WALLS AND WINDOWS. ARCHITEKTUR UND IDEOLOGIE

kuratiert von Valerie Smith. Hier greift Brandlhuber in einer architektonischen Installation die jüngere Tradition auf, spezielle Orchideenzüchtungen zu Ehren bedeutender Politiker mit deren Namen zu versehen – eine Tradition, die v.a. in Nord-Korea gepflegt wird, aber auch Angela Merkel wurde die gleiche Ehre zuteil.

Am 7. September eröffnen Brandlhubers erste institutionelle Ausstellung im

NEUEN BERLINER KUNSTVEREIN (TITEL: ARCHIPEL)

und seine erste Galerie-Einzelausstellung bei

KOW (TITEL: IM ARCHIPEL).

Beide Ausstellungen sind als Zwillingsprojekt konzipiert und greifen vielfältig ineinander. Thema ist die soziale Veränderung Berlins, ausgelöst durch Bauprojekte sowie Miet- und Liegenschaftspolitik, die ein Leben mitten in der Stadt immer deutlicher für Besserverdienende reservieren. Die Vielfalt Berlins einzuebnen, die soziale und kulturelle Durchmischung der Menschen im Herzen der Metropole aufzugeben, gefährdet den städtischen, ja den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Zum Thema "Berlin, das grüne Stadtarchipel" siehe Anh-Linh Ngos Besprechung der Ausstellung "A Green Archipelago" von Isa Melsheimer in ARCH+ 208.

Zeitgleich ist er auch im DEUTSCHEN PAVILLON DER ARCHITEKTURBIENNALE VENEDIG vertreten (s. auch ARCH+ features 14 zum deutschen Beitrag zur Architekturbiennale 2012).


Pressemitteilung KOW zur Ausstellung:

ARNO BRANDLHUBER
IM ARCHIPEL
8. Sept. – 21. Okt. 2012 / Eröffnung 7. Sept., 20 Uhr

Die Gestaltung sozialer Beziehungen durch Gebautes (= Architektur und Stadtplanung) hat einen eindeutigen Trend: Homogenisierung. Städtischer Lebensraum, der einmal gemeinsam geteilt wurde oder der sich künftig hätte teilen lassen, wird heute in sozialdarwinistische Nischen zergliedert. Auf klar nach Einkommensklassen gestaffelten Stadtinseln versammelt sich seinesgleichen mit seinesgleichen. In Berlin, wo urbane Heterogenität einmal kennzeichnend war (und sogar Wahrzeichen wurde), zeigt sich die Reorganisation von Stadt besonders deutlich als gezielte Umverteilung der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben: Das Zentrum der Hauptstadt besetzt eine betuchte Klientel rings um neue Prestigewohnanlagen und treibt alle, die nicht mehr mitbieten können oder wollen, in Außenbezirke. Soziale Archipele entstehen, neue Städte in der Stadt, sie alle ähnlich homogen organisiert: hier die Hartz IV-Empfänger, da eine Künstlerszene, woanders ein Migrantenviertel.

Berlin Mitte wird zur Parallelgesellschaft, die weitere Parallelgesellschaften um sich isoliert. Diese Entwicklung riskiert das Ende der Gemeinschaft, politisch befördert und kommunal subventioniert. Arno Brandlhuber reflektiert sie in seinem Doppelprojekt bei KOW und im Neuen Berliner Kunstverein. Als historische Folie für sein dystopisches Beschreibungsmodell des neuen Berlins zieht er einen utopischen Stadtentwurf zum Vergleich heran: Die Stadt in der Stadt. Berlin, das grüne Stadtarchipel. Dessen Autoren O.M. Ungers, Rem Koolhaas, Hans Kollhoff u.a. rechneten 1977 mit der Schrumpfung der Metropole und schlugen vor, die verbleibende Bevölkerung auf gut funktionierenden urbanen Inseln zu verdichten und strukturschwache Zwischenräume zu begrünen. Heute wächst Berlin, Inseln entstehen dennoch: als Clusterstruktur sozialer Abgrenzung. Im Neuen Berliner Kunstverein inszeniert Brandlhuber die eigenlogische Fortschreibung dieser Stadtentwicklungstendenz.

Bei KOW rückt der Architekt sein eigenes Stadthaus Brunnenstraße 9 in den Kontext dieser Problematik. Entworfen als kostengünstiges Gebäude- und Galeriemodell für heterogene Nutzungsinteressen, ist es doch selbst eine jener Mitte-Inseln, die soziale Homogenisierung verstärken. Alle Nutzer des Hauses (KOW, Redaktion 032c, Brandlhubers Architekturbüro und ein Künstleratelier) sind Akteure des kulturindustriellen Archipels, die ihresgleichen anziehen. Dass sie dies kritisch sehen mögen, ändert daran nichts. Drei Jahre nach Eröffnung der Galerie überprüft Brandlhuber nun das gemeinsame Architekturprojekt – einschließlich der Nutzungspraxis von KOW – auf Zugänglichkeit und Kritikfähigkeit. Türen und Tore der Galerie sperrt er demonstrativ auf, blockiert aber das Kellergeschoss, indem er es flutet – eine Rückschau auf den Ausgangszustand der einst feuchten Bauruine, auf der sein Neubau entstand. Das Wasser unterbricht Zugang und Nutzung des Galerieraums, verstärkt als Spiegelfläche indes den optischen Raumeffekt.

Akustisch füllt den Keller eine Soundarbeit Mark Bains: Seismographische Sensoren im Baukörper machen kleinste Vibrationen hörbar. So gibt das Haus seine Resonanz mit der Umwelt tonal in sich selbst wieder. Artikel zu Liegenschaftspolitik und Wohnungsmarkt, die Brandlhuber ein Jahr lang aus deutschen Tageszeitungen zusammentrug, druckt er erneut als Zeitung und rekapituliert so jenen öffentlichen Diskursverlauf, auf den er mit stadtpolitischen Forderungen selbst Einfluss nimmt. Zum Vergleich lesen die Mitarbeiter von KOW und Büro Brandlhuber für Galeriebesucher täglich aus dem Grünen Stadtarchipel. Auf den Computerbildschirmen des Galerieteams, das an zwei Arbeitsinseln im Eingangsbereich zusammenrückt, laufen Werbefilme jener Mitte-Wohnparks, die heute ein für Berlin historisches Hochpreisniveau etablieren. Eine Bestandskarte städtischen Wohneigentums (WBM), über dessen Mietspiegel sich sozial gegensteuern ließe, hängt im Showroom als Edition. Titel: Heterogenitätsmodell.

Die Homogenisierung sozialer Beziehungen entzieht dem Gemeinwesen seine Grundlage: Vielfalt. Brandlhuber sieht die Neuaufteilung der Stadt und fordert ihre heterogene Gestalt. Sein Projekt unterstreicht zugleich eigene Archipelbildungen im Kulturbetrieb – und macht damit eine Debatte über die künftige Sicherung des Rechts auf Stadt für Alle nicht einfacher, aber um so dringlicher. Wir zeigen Arno Brandlhuber (geb. 1964) als einen Diskursteilnehmer und kulturellen Produzenten, der seinen Einfluss zwischen den Feldern Architektur, Kunst, Politik und Medien geltend macht. Sein erstes Einzelprojekt in einer Galerie eröffnet anlässlich des dreijährigen Bestehens von KOW und wird von zwei KOW ISSUES begleitet.


BERLINER ARCHIPELE 2012
15. Sept. 2012, 12 Uhr bei KOW
KOW ISSUE 9: ARNO BRANDLHUBER IN CONVERSATION

In seinen Ausstellungen bei KOW und im NEUEN BERLINER KUNSTVEREIN im Herbst 2012 bezieht sich Arno Brandlhuber auf das Archipel-Konzept, das O. M. Ungers 1977 unter Mitarbeit von Rem Koolhaas, Peter Riemann, Hans Kollhoff und Arthur Ovaska für eine künftige Stadtplanung Berlins erarbeitete.

Die Rahmenbedingungen haben sich seit den Siebziger Jahren geändert. Aber es ist aufschlussreich, die Archipel-Metapher von damals abzugleichen mit einigen der jüngsten Architekturprojekte in Berlin, in denen ja ebenfalls Stadtvillen, die Verschränkung von Natur und Gebautem sowie Wohninsel-Konzepte realisiert werden, von denen damals – wenn auch mit unterschiedlichem Interesse – bereits Ungers & Co sprachen. Wir laden verschiedene Akteure dieser neuen Bautätigkeit in Berlin zu einem Gespräch in die Räume unserer Galerie ein.

Berliner Architekten, die maßgeblich sind für ein neues Berliner Stadtmodell, das sich mit Wohnbauprojekten wie yoo Berlin, Kronprinzenpalais, Choriner Höfe oder den Kreuzberger CarLofts realisiert, sind eingeladen, bei KOW im Gespräch mit Arno Brandlhuber ihre architektonischen Konzepte vorzustellen und zu erläutern, welche Bedeutung, welche Inhalte der architektonische Ansatz kommuniziert. Arno Brandlhuber wird eingangs das Archipel-Konzept von 1977 rekapitulieren und das weitere Gespräch moderieren.

Gesprächsteilnehmer:
Eike Becker, YOO Berlin
Oliver Collignon, Collignon Architektur
Manfred Dick, CarLofts GmbH (Angefragt)
Silke Gehner-Haas, Haas Architekten (Angefragt)
Georg Graetz, Graetz Architekten (Angefragt)
Ulrich Jasper, Jasper Architekten (Angefragt)
Veronika von Kathen, Planungsgesellschaft von Kathen und Wall mbH (Angefragt)
Davide Rizzo (Angefragt)
Frank Schiffer (Angefragt)
Sergei Tchoban, NPS Tchoban Voss Büro Berlin (Angefragt)
 

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