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Druot, Lacaton & Vassal: Transformation eines 60er Jahre Wohnhochhauses

Eine Ausstellung im Rahmen der EUROPA-KULTURTAGE der Europäischen Zentralbank. Vom 6. Oktober 2012 bis 13. Januar 2013 im Deutschen Architekturmuseum DAM.

 
 
 

Die Großsiedlungen der 60er und 70er stehen im Zentrum von ARCH+ 203: Planung und Realität – Strategien im Umgang mit Großsiedlungen. Großsiedlungen sind Zeitzeugen und zugleich die Problemkinder ihrer Zeit. Sie dokumentieren die Höhenflüge der Boomjahre und die unsanfte Landung in einer Wirklichkeit, die nach anderen und sich ändernden Vorgaben funktionierte, sie dokumentieren gleichermaßen die Leistungen des Sozialstaats und das Versagen der Gesellschaft gegenüber den neu erwachsenden Benachteiligungen, sie dokumentieren in gewisser Weise den oder vielleicht besser: einen Sieg und ein Scheitern der Moderne.

Wir diskutierten anhand des Tour Bois Le Prêtre die Wandlungsfähigkeit von Großbauten. Doris Kleilein schrieb im Artikel Fallstudie 9: Der Tour Bois-le Prêtre in Paris: Die Studie “PLUS – Les grands ensembles de logements – Territoires d'exception“, die Anne Lacaton, Jean-Philippe Vassal und Frédéric Druot bereits 2004 im Auftrag des französischen Kulturministeriums erarbeitet hatten, wendet sich vehement gegen die Abrissvorhaben. “Alles ist besser als die Tabula rasa“ könnte man ihre Thesen zusammenfassen, ein Plädoyer gegen den voreiligen Ersatz der Großwohnungsbauten durch Town Houses oder Blockrandbebauung. ... Man könne, so die Architekten, die ungeliebten Siedlungen mit wenigen Maßnahmen so umbauen, dass größere Wohnungen, neue Typologien und Serviceeinrichtungen in den zeittypisch überdimensionierten Erschließungszonen entstehen. Ein Freiraum tut sich auf. “Die Wohnung von heute ist nichts als die endlose Adaption des Bürgerlichen, angepasst an sozioökonomische Normen“, schrieb Jacques Hondelatte, Lehrer und früherer Partner von Lacaton & Vassal, im Jahr 1985. Gegen diese Art von Wohnung, in der ein Schlafzimmer ein Schlafzimmer ist und das Bad nur der Reinigung dient, argumentieren die Architekten. Sie machen die Grands ensembles zu einem Experimentierfeld für neue Wohnformen, zum “Territoire d’exception“. ...

 

Das DAM schreibt zu Ausstellung:

Abriss oder Umbau, das ist die Frage, die auch in Frankreich die Diskussion um den Umgang mit den Großsiedlungen der 1960er Jahre beherrscht, eines der zentralen städtebaulichen Themen der Nachkriegsmoderne. Gemeinsam mit Frédéric Druot haben die französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal darauf eine eindeutige Antwort gefunden und mit dem Umbau des Tour Bois Le Prêtre, eines in die Jahre gekommenen 17-geschossigen Pariser Wohnhochhauses an der Porte Pouchet, zukunftsweisende Zeichen für die Aufwertung dieser Großwohnungsbauten gesetzt. 

Mit seiner dünnen, industriell gefertigten Vorhangfassade galt der der Tour Bois le Prêtre, in den Jahren 1958-61 von Raymond Lopez erbaut, als bahnbrechend für seine Zeit. Eine energetische Sanierung in den 1980er Jahren ersetze die dünnen Stahlprofile durch PVC-Fenster, die 16 Zentimeter-Fassade verschwand hinter einer dicken Außendämmung, die wiederum von Platten in Rot-Rosa-Tönen abgeschlossen wurde: Die Eleganz der frühen Jahre war dahin und der Tour Bois Le Prêtre wurde zu einem jener gesichtslosen Punkthochhäuser, die sich an der Périphérique aufreihen.

Bereits 1990, noch unter François Mitterrand, wurde in Frankreich ein nationales städtebauliches Programm aufgelegt, dass sich inzwischen in der zweiten Phase befindet und über die „Agence Nationale pour la Rénovation Urbaine“ 25 Milliarden Euro zur Aufwertung der „grands ensembles“ zur Verfügung stellt. Teil dieses Programms ist der Abriss von 130.000 Wohnungen, die als „nicht mehr bewohnbar“  eingestuft wurden. Auch der Bois Le Prêtre gehörte Mitte der 1990er Jahre zu den Abrisskandidaten.

Die Studie von Druot, Lacaton&Vassal hingegen, 2004 im Auftrag des französischen Kulturministeriums erstellt, ist ein vehementes Plädoyer für den Erhalt der Großsiedlungen. „PLUS – Les grands ensembles de logements – Territoires d’exception“  macht sich stark für den Umbau, der ökonomisch bestechend mit weniger Kosten auskommt als der Abriss. Sie setzt am unterschätzten Potential der Großwohnbauten aus der Nachkriegsmoderne an: der freie Blick, das umgebende Grün, die Verfügbarkeit von Grund und Boden – wertvolle Ressourcen angesichts der gegenwärtigen Wohnungsnot in Paris.

Mit wenigen Eingriffen gelingt es den Architekten, größere Wohnungen und neue Serviceeinrichtungen über die Umnutzung der ehemals überdimensionierten Erschließungszonen entstehen zu lassen. “Es ist die Lösung im Inneren, die das äußere Bild bestimmt“, so die Architekten über das Grundprinzip ihrer Arbeitsweise. So erhält der Tour Bois Le Prêtre eine neue Hülle, die gleichzeitig neuen Raum für die kleinen Wohnungen schafft. Die alte Fassade wird durch eine neue Glasfassade ersetzt, der ähnlich wie bei einem Baugerüst weitere Module vorgehängt werden. Diese bestehen aus Wintergarten und Balkon, die durch raumhohe bewegliche Sonnenschutzpaneele voneinander getrennt sind. Eine ehemals 44 Quadratmeter große Wohnung gewinnt auf diese Weise 26 Quadratmeter hinzu.

Die Aufwertung des Tour Bois Le Prêtre hat nicht - wie bei vergleichbaren Projekten eigentlich zu erwarten - einen Verdrängungsprozess der alten Mieterschaft in Gang gesetzt. Alle Bewohner, von denen einige seit 1959 in dem Haus leben, wurden in die Planungsprozesse miteinbezogen und sind geblieben -  die Miete ist nach wie vor erschwinglich. Viele der Projekte von Lacaton&Vassal sind die zeitgemäße Antwort auf die Forderung des CIAM Congresses von 1929, der die Standards für die „Wohnung für das Existenzminimum“  festlegte.