0

ARCH+ space

 

archplus/message:
headline:

ARCH+ space

image:
ARCH+ space: Blick vom zentralen Oberlichtraum Richtung Kreuzberg-Tower von John Hejduk. Entwurf: Methodearchitektur, Arno Löbbecke/Anh-Linh Ngo. / Fotos wenn nicht anders angegeben: Ana Santl
archplus/gallery:
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
text:
Der ARCH+ Space als Villa Urbana

FRIZZ23: Deadline Architekten

ARCH+ Space: Methodearchitektur – Arno Löbbecke/Anh-Linh Ngo

 

FRIZZ23, Deutschlands erste Gewerbebaugruppe, befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Blumengroßmarkts zwischen Jüdischem Museum und Friedrichstraße. Nach jahrelangen Kämpfen für eine neue Liegenschaftspolitik wurde hier Berlins erstes konzeptgebundene Vergabeverfahren durchgeführt. Statt wie bis dahin Liegenschaften zum Höchstpreis zu veräußern – und damit nicht nur die Preisspirale weiter nach oben zu schrauben, sondern auch die soziale Gestaltung der Stadt aus der Hand zu geben –, wurden die Grundstücke anhand eines Konzeptbieterverfahren zum Festpreis vergeben. Neben FRIZZ23 von Deadline Architekten erhielten auch das Integrative Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt (IBeB) von ifau und Heide & von Beckerath und das Metropolenhaus von bfstudio Architekten den Zuschlag.

Gemeinsam mit dem FORUM Berufsbildung, dem größten privaten Bildungsträger in Berlin und einem der wichtigsten Akteure im Kiez, gaben Matthew Griffin und Britta Jürgens für FRIZZ223 ein Konzept ab, das eine Nutzungsbindung vorsah: 32 Prozent Bildung, 33 Prozent Kreativwirtschaft, 15 Prozent Einzelhandel, 15 Prozent Wohnen und 5 Prozent Gastronomie. Die Nutzungsbindung wurde im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags festgelegt. Eine Besonderheit waren die Einheiten, in denen zugleich Wohnen und Arbeiten erlaubt sind. Es wurde festgelegt, dass man dort nur wohnen darf, wenn nachweislich zwei Drittel der Fläche für Arbeiten genutzt werden.

Die Architekten entwickelten für das Gesamtvorhaben eine differenzierte städtebauliche Figur. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Nutzungen ist das Gebäude im Inneren extrem individualistisch, kein Grundriss gleicht dem anderen. Um das zu ermöglichen, ist das Gebäude als Skelettbau realisiert. Alle Innenwände bis auf die Treppenhäuser sind als Trockenbau aufgeführt. Die Grundrissaufteilung konnte auf diese Weise lange offengelassen werden, um den in unterschiedlichen Stadien hinzukommenden Mitgliedern die größtmögliche Gestaltungsfreiheit zu lassen.

Der ARCH+ Space befindet sich auf der zweiten Etage im mittleren Bauteil, unterhalb der gemeinschaftlichen Dachterrasse. Der Entwurf von Methodearchitektur – Arno Löbbecke/Anh-Linh Ngo – für die Redaktions- und Privaträume umfasst die Grundrissgestaltung, das zentrale Oberlicht sowie den Innenausbau. Der Grundriss nimmt das Stützraster auf, so dass die annähernd quadratische Fläche in neun etwa gleich große Zonen unterteilt wird. Das klassische palladianische Motiv mit unmittelbar aneinander angrenzenden Raumfolgen und klaren Raumproportionen ergab sich hier wie von selbst, um den Anforderungen des Arbeitsalltags der Redaktion sowie der Verbindung von Wohnen und Arbeiten gerecht zu werden. Dieses 3x3-Raster wird durch zwei innenliegende Serviceeinheiten strukturiert, die alle dienenden Funktionen und Stauflächen beinhalten. Die Grundidee beruht auf der Gleichwertigkeit der Räume und der Mehrdeutigkeit der Nutzungen, um vielfältige Kombinationsmöglichkeiten zuzulassen bei gleichzeitiger Minimierung von Erschließungsflächen wie Fluren und Korridoren.

Einzig der Eingangsbereich, von dem aus sich drei Wege in verschiedene Bereiche des Lebens- und Arbeitsalltags verzweigen, hat eine übliche Verteilerfunktion. Nach Norden befindet sich das Redaktionsbüro mit der Teeküche. Hieran schließt sich die Lounge an, die eine dramatische Stadtansicht inszeniert: im Vordergrund der Kreuzberg Tower von John Hejduk aus der IBA-Zeit, im Mittelgrund das farbige GSW-Hochhaus von Sauerbruch Hutton aus der Nachwendezeit und das goldene Springer-Hochhaus aus der Zeit des Kalten Krieges, im Hintergrund schließlich die DDR-Wohnhochhäuser an der Leipziger Straße. Nach Süden liegt mit Blick auf die ehemalige Blumengroßmarkthalle das Verlagsbüro, an das ein Besprechungsraum anschließt. Vom Eingang geradeaus gelangt man durch eine Garderobe in den zentralen Oberlichtraum. Dieser 4,5 Meter hohe Saal enthält zwar in gegenüberliegenden Nischen einen Teil der Bibliothek und eine Küchenzeile, ist aber in seinem Charakter keiner Funktion eindeutig zugeordnet. Gerade durch diese Unbestimmtheit kann er als Schalt- und Schnittstelle fungieren, um zwischen privat und öffentlich, zwischen Wohnen und Arbeiten zu vermitteln. Die Funktionsbox mit der Küche leitet nach Norden in das Wohnzimmer und nach Süden in das Schlaf- und Klavierzimmer über. Auf der Rückseite sind ein Hauswirtschaftsraum und ein Durchgangsbad eingebaut. Die Falt-Klapp-Türen der Box sind so ausgeführt, dass sie geschlossen werden können, um im rückwärtigen Bereich einen privaten Gang herzustellen, der im Alltag jedoch den Nutzflächen zugeordnet wird. Je nach Position der Türen kann das Bad minimiert oder in seiner Fläche fast verdoppelt werden.

Das Raumkontinuum hat den Vorteil, dass jeder Raum von mindestens zwei Seiten zugänglich ist, so dass in Verbindung mit der Verteilerfunktion des zentralen Oberlichtsaals man jeden Raum über einen alternativen Weg erreichen kann. So können alle Räume für unterschiedliche Projektgruppen temporär abgetrennt oder zusammengeschaltet werden, um konzentriertes Arbeiten oder intensive Besprechungen zu ermöglichen und gegenseitige Störungen zu minimieren. Im Extremfall lässt sich der Saal auch komplett abkoppeln, so dass sich die Büroräume u-förmig um ihn wie um einen Hof legen und die öffentliche und private Sphäre völlig unabhängig funktionieren.

Doch der „Raum der Mitte“, wie Hans Scharoun eine solche Disposition auch nannte, dient nicht nur als Verteiler, sondern hat darüber hinaus auch eine kollektive Funktion: Hier kann man sich im Alltag begegnen, ohne die anderen beim Arbeiten zu stören. Wie Andrea Palladio im ersten seiner Quattro Libri dell’Architettura im Kapitel 21 „Von den Loggien, den Eingängen, den Sälen und den Zimmern sowie deren Gestalt“ darlegt, sollte jedes Gebäude einen Raum in der Mitte haben, der sich formal von den anderen unterscheidet und Platz für öffentliche Zusammenkünfte bietet. Diese Funktion wird im ARCH+ Space zusätzlich dadurch betont, dass sich der Saal durch das Öffnen der Flügeltüren zum Salon im Norden und zum Besprechungsraum im Süden zu einem die gesamte Tiefe des Gebäudes querenden Veranstaltungsraum für bis zu 80 Personen verbindet. Die Küche wird bei diesen Gelegenheiten dann zur Bar. Bei Bedarf kann sie jedoch durch einen semitransparenten Vorhang visuell und der Privatbereich mit Schiebetüren vollständig von den Büroräumen abgetrennt werden. Da die Lebenssphären je als Rundlauf angelegt sind, schränken sich Wohnen und Arbeiten nicht gegenseitig ein, ihre Bereiche können aber im Tagesverlauf beliebig vergrößert und verkleinert werden. Tagsüber nimmt sich das Wohnen stärker zurück, während die Empfangsbereiche abends auch für private Zwecke mitgenutzt werden können.

Die palladianische Referenz folgt hier weniger formalen Kriterien als etwa bei John Hejduk, der zu den „Texas Rangers“ gehörte und seinen Studierenden mit den „Nine-Square Grid Exercises“ mit den Thesen Colin Rowes zu Palladio und der Moderne vertraut machte. Neben den Studentenarbeiten entstand dabei auch Hejduks berühmte Texas House Series, die ebenfalls auf dem palladianischen Raster beruhen. Diese eher formalen Ansätze haben in jüngster Zeit durch das Konzept der Villa Urbana von Dogma und der Realism Working Group eine ungleich stärkere gesellschaftspolitische Aussage gewonnen: Hier wird die Flexibilität des palladianischen Grundrisses als Entwurfsmittel neu interpretiert, um aneignungsoffene Raumdispositionen für alternative Wohn- und Arbeitsformen zu generieren, die die Funktionstrennung und Vereinzelungstendenz der Moderne zu überwinden vermögen. Statt ein kosmisches Ideal zum Ausdruck zu bringen, wie es bei Palladio der Fall war, geht es bei der Villa Urbana und beim ARCH+ Space um den politischen Zusammenhang von Produktion und Reproduktion, von Privatheit und Öffentlichkeit, von Individuum und Gesellschaft. JW/CR/ALN