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Frei Otto. Denken in Modellen

Ausstellung: 5.11.2016 bis 12.3.2017
Eröffnung: 4.11.2016 
Ort: ZKM | Karlsruhe, Lorenzstraße 19

Ein gemeinsames Projekt des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau (saai) des KIT und der Wüstenrot Stiftung

Frei Otto. Denken in Modellen © ZKM, Foto: Felix Grünschloß
Frei Otto. Denken in Modellen © ZKM, Foto: Felix Grünschloß

Am Freitag, den 04.11., wurde die Ausstellung Frei Otto. Denken in Modellen mit über 800 Besucherinnen und Besuchern im ZKM Karlsruhe feierlich eröffnet.

„Architektur ist vermutete Zukunft.“ — Kurator Georg Vrachliotis zitierte Frei Otto, den unangefochtenen Pionier des ökologischen Bauens und Abenteurer des Leichtbaus. Es sei, so Vrachliotis, ein poetisches Zitat, habe es mit dem Wissen und mit dem Un-Wissen über die Welt gleichermaßen zu tun. Etwas zu vermuten bedeute, sich auch über die Instrumente der Erkenntnis Gedanken zu machen. „Das Modell als Erkenntnisinstrument — das ist es doch, worum es Frei Otto Zeit seines Lebens ging und worin bis heute seine handwerkliche und zugleich intellektuelle Originalität liegt.“

Ausgangspunkt der Ausstellung sind die über 400 Modelle, die sich im Werkarchiv von Frei Otto im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) des KIT befinden und von denen über 220 im ZKM präsentieren werden, ergänzt durch wunderbare Zeichnungen, Pläne und unzählige Fotos. Tatsächlich zeichnet sich die Ausstellung durch eine beeindruckende Fülle an Archivmaterialien aus, die einen faszinierenden Einblick in die experimentellen Arbeitsweisen von Frei Otto geben. Vrachliotis und sein Team haben den Schatz aus dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau in monatelanger Arbeit für die Öffentlichkeit gehoben und ein Fundament für die zukünftige Forschung gelegt. Die Ausstellungsarchitektur wurde von FAR frohn&rojas entworfen und beeindruckt durch ihre szenographische Kraft und poetische Radikalität; Vrachliotis und Frohn lernten sich anlässlich des ARCH+ features 11 bei der Heftrelease ARCH+ 205 Servicearchitekturen kennen und diskutierten damals unterschiedliche Aspekte des Umgangs mit Infrastrukturen mit uns. Beide lehren und forschen inzwischen in Karlsruhe.

Die Ausstellung erstreckt sich über zwei große, insgesamt knapp 2.000 Quadratmeter große Lichthöfe des ZKM und besteht aus vier Elementen:

Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist eine 50 Meter lange Tischkonstruktion, auf der die Modelle wie in einer Modelllandschaft präsentiert werden. Sie sind nicht chronologisch, sondern nach ihrer Maßstäblichkeit geordnet, wodurch der forschende Charakter und die ästhetische Kontinuität im Denken von Frei Otto deutlich wird. Der technische und historische Kontext einzelner Modelle wird anhand von Originalplänen und Bildmaterial ergänzt. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, den enormen Detailreichtum und die spektakuläre Formenvielfalt der Modelle aus nächster Nähe studieren zu können.

Um das saai symbolisch für Öffentlichkeit und Wissenschaft zu öffnen, können sich die Besucher*innen durch ein „offenes Archiv“ bewegen, das aus einem Ring überdimensionaler Archivregalen besteht. Anhand von ausgewählten Originalplänen, Fotos, Büchern und Reproduktionen werden die Besucher*innen hier durch die wichtigsten biographischen Stationen von Frei Otto geführt – von der Entwicklungsstätte für Leichtbau (EL) in Berlin, über das weltbekannte Institut für leichte Flächentragwerke (IL) in Stuttgart und seinem Atelier in Warmbronn bis zu wegweisenden Projekten wie dem Deutschen Pavillon für die Expo 67, der Multihalle Mannheim oder den ersten Studien zu Stuttgart 21.

Das innovative Potential von Frei Otto beruht in der radikalen Interdisziplinarität seines Denkens zwischen Architektur, Technik, Wissenschaft und Gesellschaft. Das Bild und seine medientechnische Dimension spielen hierbei eine wichtige Rolle. In einer über 25 Meter großen Projektion wird dieses Denken in seiner Ästhetik und medialen Bildkraft vermittelt.

Auf Tischen – die den Ateliertischen von Frei Otto in Warmbronn nachempfunden sind – können die Besucher*innen dazu eine Vielzahl von Bildern von Naturstudien, Spinnennetzen, Sandstrukturen oder Seifenblasen studieren. Zeit seines Lebens sammelte und ordnete Frei Otto Bilder von Strukturen der Natur. Sie dienten ihm sowohl der Inspiration und freien Assoziation, als auch als konkreter Untersuchungsgegenstand. Die Besucher*innen durchstreifen hierbei eine Bilderwelt, die ihnen Einblicke in den poetischen und zugleich wissenschaftlichen Kosmos von Frei Otto eröffnet.

„Die Ausstellung ist spektakulär in ihrer Fülle – schauen Sie sich jeden Film und jedes Modell genau an!“ sagte der Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung Philip Kurz bei der Eröffnung. Die Stiftung hat als Kooperationspartner das Ausstellungsprojekt erst ermöglicht. Wer diesem begeisterten Rat folgen will, sollte Zeit mitbringen, denn diese reichhaltige Ausstellung informiert auf so vielen Ebenen, ermöglicht so viele Einblicke und Zugänge, dass die Zeit beim Eröffnungsabend im Nu verflog und nur der Anfang einer ausführlichen Expedition sein wird!

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Frei Otto (1925–2015) zählt zu den international renommiertesten und innovativsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts. Im März 2015 bekam er für sein Werk den Pritzker-Preis verliehen – die weltweit höchste Auszeichnung für Architektur.

Ziel der vom saai und der Wüstenrot Stiftung in Kooperation mit dem ZKM Karlsruhe initierte Ausstellung Frei Otto. Denken in Modellen ist es, neue Fragestellungen zur Zukunft der gebauten Umwelt zwischen Architektur, Technologie, Nachhaltigkeit  und Gesellschaft aufzuwerfen.

Gezeigt werden sowohl bekannte als auch völlig unbekannte Projekte. Das Material umfasst insgesamt über 200 Modelle, Objekte, Werkzeuge und Instrumente, über 1.000 Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Pläne und Filme sowie mehrere medientechnische Großprojektionen.

Frei Ottos Denken zeichnet sich durch eine Experimentierfreudigkeit aus, deren Methoden zwischen Architektur, Wissenschaft und Kunst zu verorten ist. Er baute eigens entwickelte Instrumente zur Erforschung selbstorganisierender Prozesse, Messtische zur Bestimmung von Kräfteverläufen, Apparate zur Erforschung pneumatischer Konstruktionsformen oder Werkzeuge zur Analyse von komplexen Netzmodellen.

Die Architekturmodelle – wenn hier überhaupt noch von Modellen im klassischen Sinn die Rede sein kann – fungieren bei Frei Otto nicht nur als "statische Objekte", sondern vielmehr als "dynamische Objekte", das heißt als Prozessmodelle der gesamten Umwelt. Sie verkörpern damit eine "operative Ästhetik" (Georg Vrachliotis), die sich zwischen der Präzision von wissenschaftlichen Objekten und der Imagination künstlerischer Instrumente bewegt.

Eine solche "operative Ästhetik" tritt am sichtbarsten in Frei Ottos Rekonstruktion des Hängemodells von Gaudis Sagrada Familia zu Tage. In seinem 2008 in ARCH+ 189 erschienenen Artikel Generatives Entwerfen hat Georg Vrachliotis, Professor für Architekturtheorie am KIT, der zugleich Leiter des saai und Ständiger Mitarbeiter der ARCH+ ist, Frei Ottos "morphologisches Naturverständnis, das mehrheitlich auf Ökonomie und Konstruktion beruht", anderen Formfindungsansätzen gegenübergestellt. 

Es ist daher eine glückliche Fügung, dass Georg Vrachliotis nun die bisher größte Frei-Otto-Ausstellung kuratiert. Es wird eine Publikation (englisch/deutsch) mit wissenschaftlichen Texten und umfangreichem Bildmaterial zum Œuvre von Frei Otto im Verlag Spector Books erscheinen.

- Ko-Kuratoren: Marc Frohn, Martin Kunz, Joachim Kleinmanns
- Projektassistenz: Julia Schiffer
- Ausstellungsarchitektur: FAR frohn&rojas
- Grafische Gestaltung: Studio Lukas Feireiss

Gefördert durch die Baden-Württemberg Stiftung in Kooperation mit dem ZKM Karlsruhe

Am 26. und 27. Januar 2017 findet im ZKM ein Symposium zum Thema der Ausstellung statt.

Siehe zum Thema auch die Veröffentlichungen von Frei Otto in ARCH+:
Selbstbildende Formen 
Entwicklungsstätte für den Leichtbau
Ich war Dr. Zelt

Alle Fotos: © Werkarchiv Frei Otto im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai)

Frei Otto. Denken in Modellen © ZKM
Ausstellung »Frei Otto. Denken in Modellen« am ZKM
 
 
 

Tanzbrunnen für die Bundesgartenschau 1957 in Köln:

 
 
 

Deutscher Pavillon auf der Weltausstellung 1967 in Montreal/Kanada:

 
 
 

Überdachung der Hauptsportstätten im Olympiapark München, 1972:

 
 
 

Dach der Multihalle in Mannheim, 1975:

 
 
 

Voliere im Münchner Tierpark Hellabrunn, 1980:

 
 
 
Frei Otto fotografiert die Überdachung der temporären Tribüne der Schwimmhalle
Frei Otto fotografiert die Überdachung der temporären Tribüne der Schwimmhalle