Rezension zu Bettina Pousttchis Ausstellung In Recent Years in der Berlinischen Galerie
Eine weißes Muster aus vertikalen, horizontalen und diagonalen Linien bedeckt derzeit die Glasfassade der Berlinischen Galerie. Die strukturelle Strenge erinnert an Fachwerk, gleichzeitig könnte das Ornament in seiner Feinheit und der Art, wie Linien in Punkten zusammenkommen, auch auf textile Spitze verweisen. Vor allem das Motiv der Raute hebt sich als geometrische Einheit hervor – eine wiederkehrende Form auch in orientalischen Kulturen. Berlin Window ist der Name dieser ortsspezifischen Arbeit, die die in Berlin lebende Künstlerin Bettina Pousttchi (*1971) im Rahmen ihrer Ausstellung In Recent Years in der Berlinischen Galerie zeigt. Ihre ornamentale Fassadengestaltung ist ein Störelement in der sonst klaren, kubistischen Formensprache des Gebäudes – ein vor rund fünfzehn Jahren getätigter Umbau eines ehemaligen Glaslagers der 1960er-Jahre zum Museum. Mit ihrer Arbeit lenkt Pousttchi den Blick auf den urbanen und historischen Kontext und befragt die Architektur danach, wie sie kulturelle Identität repräsentiert, und vor allem welche.
Diese Auseinandersetzung mit öffentlichem Raum setzt sich in den Ausstellungshallen fort. Für die zwischen 2008 und 2016 entstandene Serie World Time Clock fotografierte die Künstlerin insgesamt 24 Uhren im Außenraum in 24 verschiedenen Zeitzonen der Welt. Die Uhren zeigen immer dieselbe Zeit, fünf Minuten vor zwei. Durch die streng gehängte Reihung suggerieren die Fotografien eine globale Gleichzeitigkeit – ein Kommentar auf die Einführung der standardisierten Zeitrechnung, die um 1850 forciert von britischen Wirtschaftsinteressen eine Weltmitte definierte, mit der als Begleiterscheinung auch die vermehrte Präsenz von Uhren im Stadtbild einherging.
Die Skulpturengruppe Vertical Highways besteht aus fünf rund 2,5 Meter hohen Objekten aus verformten Leitplanken, die nach Berliner Straßennamen betitelt sind. Das massive Material bekommt durch Pousttchis Bearbeitung einen nahezu filigranen, tänzerischen Charakter. Anthropomorph sind auch die nach Berliner Straßennamen benannten Objekte aus der Werkgruppe Bike Squeezer / Tree Squeezer aus verformten und ineinander verschränkten Fahrradständern und Baumschutzbügeln. Im geschützten Rahmen des Museums erlangt das zu Figuren arrangierte Straßenmobiliar ein neues Leben – es ist alles eine Frage des Kontexts.
Dorothee Hahn
Bettina Pousttchi In Recent Years
Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin
12. September 2019 – 6. April 2020
Öffnungszeiten: Mi–Mo, 10–18 Uhr